#CoronaDialog: Über Wissenschaft und Politik in Zeiten von Corona

Screenshot von Online-Podium des Corona-Dialogs der HSZG

Die Corona-Pandemie stellt uns in vielen Bereichen vor neue Herausforderungen. Insbesondere die Politik ist immer wieder gefordert, in einem dynamischen Pandemie-Geschehen schnelle, aber stets fundierte Entscheidungen und Maßnahmen zu treffen. Eine verantwortungsvolle Politik kann dabei nur im Austausch mit der Wissenschaft gelingen: In der Corona-Pandemie können politische Entscheidungen nicht allein auf dem größtmöglichen Konsens beruhen. Politik muss auch Maßnahmen treffen, die unpopulär, aber wissenschaftsbasiert sind und dafür um Akzeptanz werben.

Bei dem digitalen #CoronaDialog zum Thema ‘Wissenschaft als Fluch oder Segen für die Corona-Politik?‘ Über Wissenschaft und Politik in Zeiten von Corona, veranstaltet von der Hochschule Zittau Görlitz, habe ich am 15. März zusammen mit Prof. Dr. Raj Kollmorgen (Soziologe, Hochschule Zittau/Görlitz), Prof. Dr. Maja Dshemuchadse (Kommunikationspsychologin, Hochschule Zittau/Görlitz) und Dr. Stephan Meyer (MdL, Abgeordneter für den Wahlkreis Görlitz) über folgende Fragen diskutiert: Wie gelangen wissenschaftliche Erkenntnisse in die Politik? Wer entscheidet, welche Wissenschaftler*innen für politische Entscheidungen gehört werden? Welche Prozesse und Verbindungen existieren zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft?

Wie entsteht eine Corona-Maßnahme in Sachsen?

Eine Corona-Maßnahme ist grundsätzlich eine Regelung, die die Corona-Pandemie bekämpfen und die negativen Folgen auf die Gesellschaft minimieren soll. Dazu gehören insbesondere Fragen zum Infektionsschutz, also u.a. Hygiene- und Abstandsregeln, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen und -nachverfolgungen und Lüftungsmöglichkeiten. Um diese Maßnahmen umsetzen zu können, braucht es politische Entscheidungen für den öffentlichen Raum, für Schulen und Kitas, für das Arbeitsumfeld, für Hochschulen und Kulturinstitutionen, für den Einzelhandel sowie für den privaten Bereich.

Diese Entscheidungen münden in der sogenannten Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung (SächsCoronaSchVO), die jeweils für vier Wochen gültig ist. Um solche Entscheidungen in einer dynamischen Pandemie-Lage fortlaufend treffen zu können, ist die Politik ganz besonders auf wissenschaftliche Erkenntnisse angewiesen. Denn eine Politikerin, die von Haus aus Rechtsanwältin ist oder ein Abgeordneter, der Informatiker ist, kann nicht wissen, vor welcher Viruslast eine medizinische Maske schützt oder wie sich das Virus im Innen- oder Außenraum verteilt. Wie entstehen also Corona-Maßnahmen genau in Sachsen?

Grafik zur Entstehung einer Corona-Maßnahme in Sachsen

1. Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzlerin (MPK)

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz erhalten die Ministerpräsident*innen der Länder und die Kanzlerin Angela Merkel wichtigen Input von Wissenschaftler*innen und betrachten die aktuellen Zahlen und Entwicklungen des Robert-Koch-Instituts. Zusammen mit den unterschiedlichen Perspektiven aus den einzelnen Bundesländern diskutieren sie die aktuelle Lage und fassen einen gemeinsamen Beschluss, der den Ländern in der Regel einen gewissen Spielraum für die Umsetzung lässt (z.B. für die Schulen und Kitas). Da die Ministerpräsidentenkonferenz jedoch kein Verfassungsorgan ist, ist der Beschluss nicht automatisch gültig. Er muss in den jeweils zuständigen Organen und rechtlich haltbaren Verordnungen auf Landesebene noch beschlossen werden.

2. Sonderkabinettssitzung in Sachsen

Unmittelbar nach der MPK berät die sächsische Staatsregierung in einer Sonderkabinettssitzung über die Beschlüsse. Die Staatsregierung nimmt hierbei die spezifische Lage in Sachsen in den Blick und diskutiert die verschiedenen Sichtweisen aus den einzelnen Ministerien (Bildungsministerium, Kulturministerium, Gesundheitsministerium, Justizministerium). Daraus erarbeitet sie eine Verordnung (bzw. die Veränderung der bestehenden Verordnung), die sie als Entwurf ins weitere Verfahren gibt.

3. Sondersitzung der Fachausschüsse mit Minister*innen in Sachsen

Im Anschluss an die Sonderkabinettssitzung kommen die Fachausschüsse Schul- und Bildungsausschuss, Sozialausschuss sowie Verfassungs- und Rechtsausschuss mit den zuständigen Minister*innen zusammen, um über den Entwurf der Staatsregierung zu beraten und zu diskutieren. Hier bringen die Abgeordneten als Fachpolitiker*innen ihre Kritik, Fragen und Vorschläge ein, die sie aus Gesprächen im Wahlkreis, mit Verbänden und Interessenvertretungen sowie im Austausch mit ihrer Fraktion erhalten. Am Ende geben sie eine Empfehlung zum Entwurf ab.

4. Kabinettssitzung in Sachsen

Auf der unmittelbar anschließenden Kabinettssitzung beschließt die Staatsregierung die neue Verordnung, die wenige Tage später mit begrenzter Dauer in Kraft tritt.

Parallel zur Entstehungsphase von Corona-Maßnahmen finden ganz reguläre Kabinettssitzungen, Fachausschüsse sowie Plenarsitzungen statt. In den wöchentlichen Kabinettssitzungen kommt das Kabinett mit den Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsfraktionen zusammen und diskutiert kontrovers über die aktuelle Situation in Sachsen und die unterschiedlichen Sichtweisen zu den Maßnahmen. Hier werden regelmäßig Wissenschaftler*innen (z.B. aus den Bereichen der Infektologie, Virologie, Epidemiologie, Immunologie, Kinder- und Jugendmedizin, Gesundheitskommunikation) angehört, um wissenschaftliche Erkenntnisse für die Entscheidungsfindung heranzuziehen und abzuwägen. In den monatlichen Fachausschüssen des Landtags wird über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Fachausschusses informiert und diskutiert. Im monatlichen Plenum, dem einzigen öffentlichen Organ, berichtet die Staatsregierung zur Corona-Pandemie und die Abgeordneten debattieren öffentlich über die aktuellen Entwicklungen und Maßnahmen.

Was leisten die Hochschulen und die Forschung?

Die Wissenschaft an Hochschulen und Forschungsinstituten leistet eine ganz wichtige Arbeit. Insbesondere in der Corona-Pandemie, in der gerade zu Beginn noch sehr viel Wissen zu dem neuartigen Corona-Virus und seinen Auswirkungen fehlte, ist eine erkenntnisorientierte wissenschaftliche Forschung ganz zentral. Die Politik beauftragt dabei keine Ergebnisse, sondern finanziert wissenschaftliche Forschungsprojekte mit, die zu wichtigen Zukunftsfragen forschen und damit Argumente dafür oder eben auch dagegen sammeln. Die Politik diskutiert diese Forschungsergebnisse, wägt ab und trifft möglichst wissenschaftsbasierte Entscheidungen.

Grafik zu Forschungen im Bereich Medizin, Kinder & Jugendliche, Wirtschaft, Gesellschaft

Beispiele für Forschungsprojekte, die aus Mitteln des Sächsischen Corona-Bewältigungsfonds gefördert wurden:

  • Analyse von Virusgenomen zum Abgleich mit konkreten Krankheitsverläufen, um die Schwere der Verläufe besser bestimmen zu können
  • Klinische Studie zur Immunität gegen Corona-Viren bei Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen
  • Schätzung der COVID-19 -Prävalenz und Seroprävalenz bei Schülern und Lehrern in Sachsen
  • Abwassermonitoring zur Bestimmung des SARS-CoV-2-Infektionsgrades der Bevölkerung
  • Resilienz durch Innovation im sächsischen produzierenden Gewerbe zur Stärkung der Wettbewerbsvorteile

Die Forschung darf aber nicht für sich alleine stehen. Wissenschaftliche Erkenntnisse gilt es jederzeit auch verständlich aufzubereiten und zu vermitteln, um einen Wissenstransfer und Austausch mit den Bürger*innen zu gewährleisten. Gute Beispiele hierfür sind die Online-Dialogrunde #CoronaDialog der Hochschule Zittau/Görlitz oder die Online-Veranstaltungsreihe „Ihre Fragen – unsere Antworten“ der Universität Leipzig, die neue Wege der interdisziplinären Informationsvermittlung beschreiten und so einen direkten Kontakt mit den Forschenden ermöglichen.

Was muss besser werden?

Um die Nachvollziehbarkeit und damit auch die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen zu erhöhen, braucht es eine stärkere Parlamentsbeteiligung sowie eine stärkere öffentliche Diskussion, wie sie normalerweise in öffentlichen Sitzungen des Deutschen Bundestages oder des Sächsischen Landtages stattfindet. Zudem ist ein Pandemie-Rat mit interdisziplinärer Besetzung erforderlich, der die Maßnahmen und mögliche Auswirkungen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen und Perspektiven beleuchtet und diskutiert. Und ganz wichtig: Die Maßnahmen und Entscheidungen müssen klar und verständlich kommuniziert werden, sodass sie für alle Bürger*innen und Beteiligten gut nachvollziehbar und damit auch umsetzbar sind.