Landtagsdebatte zur Zukunft der EU − Lichtblicke kommen aus der Zivilgesellschaft!

Diese Rede finden Sie hier im Video.

Rede der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (GRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte zum Thema „60 Jahre Römische Verträge – Errungenschaften und Herausforderungen für die Zukunft der Europäischen Union“
50. Sitzung des Sächsischen Landtags, 15. März, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Staatsminister,

wo würden wir heute stehen, wenn die Mütter und Väter der Römischen Verträge vor 60 Jahren nicht das europäische Momentum erkannt hätten? Und was wollen wir unseren Kindern und Enkel in 20 Jahren sagen, wie wir den Moment genutzt haben?

60 Jahre Römische Verträge bieten Gelegenheit, sich die Werte aus der Gründungsphase der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, und damit der Europäischen Union, in das Gedächtnis zu rufen: Frieden, Freiheit, Solidarität, gesellschaftlicher Aufbruch. Der Kontinent ist zusammengerückt.

60 Jahre Römische Verträge sind auch ein hervorragender Anlass zur konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Stand der Integration und Zustand der Europäische Union 2017. Meine Vorredner sind auch darauf eingegangen.

Die Bewertung des Zustands und des damit verbundenen Ausblicks auf die Zukunft der Europäischen Union wird dabei fälschlicherweise – auch von der Koalition – entlang der Frage „Mehr oder weniger Europa?“ gezeichnet. Ich will nicht sagen, dass die Antworten nicht relevant seien. Ich will vielmehr sagen, dass die Frage falsch gestellt ist.

Die Europa-Frage ist keine Gretchenfrage. Sie ist keine Frage, die nur mit Ja oder nur mit Nein beantwortet werden kann. Daher ist sie falsch gestellt. Mehr noch: Diese Verkürzung spielt nicht nur Europa-Feinden in die Hände, sie wird auch der Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses nicht gerecht.

Was durch die fatale Vereinfachung passieren kann, erleben wir aktuell im Vereinigten Königreich. Die Europa-Frage auf „mehr oder weniger?“ zu reduzieren ist ein Katalysator der Europaskepsis. Richtig wäre zu fragen: „In welchen Bereichen brauchen die Bürgerinnen und Bürger Europas zukünftig eine engere Zusammenarbeit auf Ebene der EU?“

Worüber wir in dieser Debatte bisher nur wenig gehört haben, ist die mutige Sicht auf die Zukunft der europäischen Integration. Das wundert insofern auch nicht, als es auch in Sachsen in 28 Jahren europäischer Einigung in West und Ost nicht ansatzweise gelungen ist Begeisterung für den Einigungsprozess zu fördern. Schon immer – und so befürchte ich auch mit Blick auf die Kohäsionspolitik der EU nach 2020 – geht es in erster Linie darum, möglichst viele Transfermittel nach Sachsen zu leiten.

Auch wenn das nicht nur legitim, sondern in der Regel gut für die Menschen im Freistaat ist. Und auch wenn ich den vorausschauenden Einsatz des Staatsministers in dieser Hinsicht zu schätzen weiß. So darf sich doch hieran nicht das sächsische Handeln mit Blick auf Europa erschöpfen. Dieses einseitige Versteifen auf Förderprogramme und deren Vereinfachung hat in der Europapolitik Sachsens zu einer Selbstlähmung geführt. Statt die Zukunft Europas in den Blick zu nehmen, diskutiert der Europaausschuss viel zu oft nur über europäische Gesetze, die sich in erster Linie als problematisch für Sachsen erweisen könnten. Der Subsidiaritätsmechanismus wird als Selbstverteidigungsinstrument der Landessouveränität politisch aufgebläht, statt als Mitwirkungsrecht verstanden.

Leider funktioniert das Europa-Blaming in sich auch noch wunderbar. Denn Konservative und Sozialdemokraten haben im Europaparlament und im Rat seit Lissabon nichts unternommen, um das Europäische Parlament gegenüber den Exekutivorganen, den Rat und Europäischen Rat zu stärken. Die Regierungen bestimmen die europäische Politik.

Lichtblicke kommen hingegen aus der Zivilgesellschaft!

Derzeit erleben wir in Sachsen, dass Menschen sich ein Herz fassen, gegen den Stillstand oder gar das schleichende Abwickeln des Integrationsprojektes ihre laute Stimme zu erheben. Ich selbst habe in Leipzig an den Kundgebungen von Pulse of Europe teilgenommen und kann es allen Pro-Europäern und Pro-Europäerinnen nur empfehlen, auf den sonntäglichen Kundgebungen die Stimmen des menschlichen, des freien und einigen Europas der Bürgerinnen und Bürger zu hören. Und dieses Sich-Trauen, für Europa einzustehen, das ist es, was viele überzeugte Europäerinnen und Europäer in den 10 vergangenen Jahren seit dem Scheitern des Verfassungsvertrages für Europa kaum mehr erlebt haben.

Auf die Frage, ob es zukünftig mehr oder weniger gemeinsame Politik der EU-Länder geben soll antworteten im Deutschlandtrend letzte Woche 78 Prozent mehr gemeinsame Politik (+4 Prozent) und 20 Prozent weniger gemeinsame Politik (-1 Prozent im Vergleich zu Juli 2016).

Vielen Menschen ist klar, dass unsere Herausforderungen zu groß und Länder zu klein dafür sind. Beim Kampf gegen den Klimawandel, für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung oder die Pressefreiheit ist ein gemeinsames europäisches Handeln erforderlich. Und es wird gewünscht in Deutschland.

Es ist eine Zeit angebrochen, in der wir wieder stärker reden sollten über das, was Europa auszeichnet und wie wir es für die Zukunft weiter gestalten wollen.

Wenn uns das gelingt, können wir gute Antworten auf die Fragen unserer Kinder und Enkel in 20 Jahren geben.

Vielen Dank.