Transformation der sächsischen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft weiter voranbringen

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zur Fachregierungserklärung von Staatsminister Sebastian Gemkow zum Thema „Zukunft des Wissenschaftslandes Sachsen“

67. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 15.3.2023, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Staatsminister, werte Kolleginnen und Kollegen,

wir haben in der aktuellen Legislaturperiode viel erreicht im „Wissenschaftsland Sachsen“, doch es gibt auch noch viel zu tun. Das Fundament dafür ist gelegt, nun ist es an uns, die Transformation der sächsischen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft weiter voranzutreiben. Die Probleme unserer Zeit warten nicht auf uns. Wir alle wissen, dass wir nur wenig Zeit haben, um unsere Gesellschaft klimaneutral umzuformen; wir alle wissen, welche Chancen aber auch Herausforderungen in der digitalen Gesellschaft liegen, wir alle wissen, dass wir angesichts der Weltlage in angespannten Zeiten leben.

Viele Punkte, die wir als Koalition gemeinsam angehen, hat der Staatsminister bereits angesprochen – nicht auf alle davon kann und möchte ich hier noch einmal eingehen. Worüber ich heute zu Ihnen allen sprechen möchte, das ist die Rolle Sachsens bei der Bewältigung genannter Herausforderungen. Sachsen – das war einst das Herzland der Industrialisierung, ein Vorreiter in Industrie und Wissenschaft. Jetzt, nach fast zwei Jahrhunderten, befinden wir uns bereits mittendrin in einer Phase tiefgreifender Veränderungen, und wieder hat Sachsen das Potential, Vorreiter zu sein – wenn wir dafür als Politik die richtigen Weichen stellen, Anreize setzen und die Freiräume und Mittel bereitstellen. Das ist es, werte Kolleginnen und Kollegen, wofür wir als Bündnisgrüne in der Regierung stehen. Wir nehmen die Freiheit der Wissenschaft ernst und stärken und schützen Hochschulen in ihrem essentiellen Auftrag.

Eine Weise, wie wir uns als Koalition dieser Aufgabe annehmen, ist die dringend notwendige Novellierung unseres Hochschulgesetzes.

Es ist unzweifelhaft, dass die Klimakrise global die größte Gefahr unserer Zeit darstellt. Damit die sächsischen Hochschulen hier ihrer Verantwortung gerecht werden und zugleich auch die personellen Ressourcen dafür zur Verfügung stehen, führen wir mit der Novelle ein Prorektorat für Nachhaltigkeit an allen Hochschulen ein. Viele sächsische Hochschulen sind hier bereits führend, sei es in der Erforschung innovativer Energietechnologien wie Photovoltaik, Batterien oder Wasserstoffsynthese, oder in der gelebten Praxis an den Hochschulen, etwa mit Nachhaltigkeitskonzepten und Einrichtung von green offices oder eine Verankerung wichtiger Inhalte in der Lehre. Dabei werden wir sie weiter bestärken.

Die neuen attraktiven Beschäftigungskategorien der Lektor*innen und Wissenschaftsmanager*innen stellen einen großen Fortschritt für die Wettbewerbsfähigkeit der sächsischen Hochschulen dar. Sie leisten zudem einen wichtigen Beitrag dazu, endlich die Planbarkeit der Karrierewege des akademischen Mittelbaus zu erhöhen und dauerhafte Jobperspektiven zu schaffen. Dadurch verbessern wir zugleich die Lehre an den Hochschulen, denn damit gibt es Anreize dafür, gute Lehre anzubieten und dort den Schwerpunkt zu setzen. Unsere Studierenden bilden die Fachkräfte, die Forscher*innen von morgen – nur mit wirklich exzellenter Lehre können wir dafür sorgen, dass sie auch dafür gewappnet sind, diese Herausforderungen anzugehen.

Und moderne Hochschulen müssen der Vielfalt ihrer Mitglieder gerecht werden. Wissenschaft, Gesellschaft, der Freistaat, wir können es uns nicht leisten auf unterschiedliche Potenziale zu verzichten. Wir brauchen sie alle. Wir haben uns deswegen dafür eingesetzt, dass die Gleichstellungsbeauftragten in ihren Rechten gestärkt werden. Zudem wollen wir die Möglichkeit für Hochschulen schaffen, Beauftragte für Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit zu etablieren. Teil von Hochschulfreiheit muss auch sein, frei von Diskriminierung zu lernen und zu forschen. Und darum braucht es auch endlich die Schließung der Schutzlücke des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes für Studierende, wie es schon mehrere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen oder Sachsen-Anhalt vorgemacht haben! Die Hochschulen wollen hier mehr tun, dafür müssen wir auch den rechtlichen Rahmen schaffen.

Auf die neuen Großforschungszentren im Mitteldeutschen Revier und in der Lausitz ist bereits eingegangen worden, doch möchte ich selbst noch einmal hervorheben, was für ein enormer Transformationsprozess durch diese Förderungszusagen angestoßen wurde. Das CTC, das Centre for the Transformation of Chemistry, sowie das DZA – das Deutsche Zentrum für Astrophysik, können nicht nur Leuchttürme in ihren jeweiligen Regionen in Sachen Fachkräftegewinnung, Strukturwandel und Wohlstand sein. Sie stellen sich bereits jetzt den Herausforderungen nicht nur von morgen, sondern von übermorgen. Gerade das CTC nimmt sich der Frage an, wie wir zu einer chemisch-physikalischen Kreislaufwirtschaft gelangen können – denn das Thema Nachhaltigkeit hört beim Klimawandel nicht auf. Wir müssen auch endlich anerkennen, dass unser Planet uns nur begrenzt Ressourcen zur Verfügung stellt. Die Spitzenforschung des CTC wird die Grundlage dafür bilden, auch in Zukunft unseren Lebensstandard zu sichern, und gleichzeitig nicht mehr von der Ausbeutung der zunehmend schrumpfenden Ressourcenvorkommen des Planeten abhängig zu sein.

Besonders froh bin ich, dass die neuen Forschungszentren nicht als „Elfenbeintürme“ konzipiert sind, sondern Wissenschaftskommunikation und die niedrigschwellige Beteiligung von Bürger*innen von Anfang an mitgedacht wurde. Die Wissenschaft ist nichts, was hermetisch getrennt vom Rest der Gesellschaft bestehen kann – durch die neuen Begegnungsräume wird Wissenschaft direkt erlebbar und gleichzeitig stärken wir die Sichtbarkeit der sächsischen Spitzenforschung.

In Zukunft werden Citizen Science und Reallabore an Bedeutung gewinnen. Das muss Wissenschaftspolitik in Zukunft viel stärker als bisher in den Fokus nehmen.

Von der chemischen Industrie abgesehen gibt es eine Reihe weiterer Schlüsseltechnologien, bei denen wir in Sachsen das Potential haben, entscheidende Beiträge zu leisten – ob in der Halbleiter- oder Solarindustrie, bei künstlicher Intelligenz oder in der medizinischen Forschung. Wir wollen diese wichtigen Schlüsselsektoren umfangreich unterstützen, nicht nur, damit Sachsen ein wissenschaftlicher Leuchtturm bleibt, sondern auch, um unsere Abhängigkeit bei kritischen Technologien von autokratischen Systemen zu reduzieren. Mithilfe innovativer Technologien können wir gestärkt aus der Bewältigung der Klimakrise hervorgehen. Dafür braucht es auch in den kommenden Haushaltsperioden eine gut ausgestattete, zielgerichtete und – allem voran nachhaltig orientierte Landesforschungsförderung.

Ich möchte aber nicht allein die Bedeutung des MINT-Bereiches der Forschung für die Krisenbewältigung unserer Zeit betonen. Technischer und sozialer Wandel stellt Gesellschaften vor die Herausforderung, damit umzugehen und diesen zu verstehen. Dafür brauchen wir die Geistes- und Sozialwissenschaften dringender denn je. Die politische Lage ist angespannt, sei es auf der internationalen Bühne mit den wachsenden Konflikten, sei es national mit den Angriffen auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung in unserem Land. Wir brauchen hier genauso fähige Köpfe, die Lösungen finden, und die beispielsweise auch uns in der Politik helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Darum stehen wir als Bündnisgrüne für eine starke und unabhängige Forschung im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Eine weitere große Herausforderung für unsere Gesellschaft bildet der Fachkräftemangel, gerade zurzeit ja nun in aller Munde. Die Staatsregierung hat bereits in vielen Punkten erläutert, wie sie diesem Problem entgegenschreiten möchte. Ich möchte hier auf zwei Teilaspekte eingehen, die mir besonders am Herzen liegen.

Während der Frauenanteil der bestandenen Promotionen an deutschen Hochschulen 2021 bei ca. 45% lag, war er bei Professuren nur bei weniger als einem Drittel1. Eine Studie von Forscher*innen der Lehigh und Georgia State University zeigte, dass die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen zu mehr Innovation und Produktivität, und damit zu mehr Leistungsfähigkeit führt2. Die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft ist nicht nur eine normative, sondern auch eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit. Für uns als Bündnisgrüne ist dieses Thema Teil unseres zentralen Auftrags – darum haben wir uns bereits in der letzten Haushaltsperiode für das Sächsische Gastprofessorinnenprogramm stark gemacht, welches nun – mit Unterstützung der Koordinierungsstelle für Chancengleichheit – in seine zweite Runde geht. Wir möchten damit gezielt innovative Frauen für einen Gastaufenthalt an sächsische Hochschulen holen.

Und wir sind froh, dass nun mit dem Sachsen-Technikum bald ein Pilotprojekt an den Start geht, welches jungen Abiturientinnen ein Hineinschnuppern in technische Studiengänge ermöglichen kann. Es ist leider immer noch so, dass gerade junge Frauen sich ein technisches Studium nicht zutrauen – mit dem Programm möchten wir diese Hürden abbauen und einen niedrigschwelligen Einstieg ermöglichen, um langfristig mehr weibliche Talente in den sächsischen MINT-Studiengängen begrüßen zu können.

Ein zweiter Punkt, bezogen auf den Fachkräftemangel, wird bereits seit einigen Jahren unter dem Hashtag „#IchBinHanna“ diskutiert: Die Auswirkungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und der generellen Beschäftigungspraktiken des Mittelbaus an den Hochschulen. Nun ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Bundesgesetz, doch das heißt nicht, dass wir dieser Entwicklung tatenlos gegenüberstehen. Wir werden die Novellierung aktiv verfolgen – und wir werden mit der bald kommenden Hochschulgesetznovelle unseren Teil dazu tun, dass weniger Wissenschaftler*innen im akademischen Mittelbau in prekären oder untragbaren Arbeitsverhältnissen stehen. Das tun wir aber nicht nur, weil es schlicht das richtige ist, sondern auch, weil wir uns etwas Anderes nicht mehr erlauben können. Schon jetzt haben Hochschulen und Wissenschaftsbetriebe Probleme, qualifiziertes Personal zu finden – und dieser Trend wird sich noch weiter verschärfen, wenn wir nicht dafür Sorge tragen, dass die Arbeit an sächsischen Hochschulen attraktiver wird.

Doch nicht nur die Arbeit, sondern auch das Studium an sächsischen Hochschulen muss attraktiv bleiben. Wir Bündnisgrüne wollen eine auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen, die keine Drittmittel braucht, um ihre grundständige Lehre zu erfüllen. Wir brauchen genug feste Stellen in der Lehre, damit die Hochschulen nicht auf schlecht bezahlte und prekäre Lehraufträge angewiesen sind, um ihren zentralen staatlichen Bildungsauftrag wahrnehmen zu können. Nur so können wir es schaffen, dass wir nicht nur exzellente Forschung, sondern auch exzellente Lehre an sächsischen Hochschulen haben – denn das eine ist die zwangsläufige Voraussetzung des anderen.

Wir müssen zudem dafür sorgen, dass ein Studium nicht mehr und mehr eine Frage der sozialen Herkunft ist. In Zeiten steigender Preise drängen wir weiterhin auf Bundesebene auf eine tiefgreifende Bafög-Reform. Zudem müssen die Studierendenwerke eine ausreichende Finanzierung für ihren staatlichen Auftrag bekommen. Ein Studium darf nicht vom Privileg wohlhabender Eltern abhängen. Jede und jeder, der die Fähigkeiten dafür mitbringt, die wir so dringend brauchen, muss die Freiheit dazu bekommen, in Sachsen studieren zu können.

Ich möchte nochmal an den Titel der Regierungserklärung erinnern: „Zukunft des Wissenschaftslandes Sachsen“. Das heißt für mich zuvorderst: Die Freiheit der Wissenschaft ist von besonderer Bedeutung. Es muss unser Ziel sein, ebendiese zu schützen und zu fördern, um damit die Rolle der Wissenschaft als Grundpfeiler für die Entwicklungsfähigkeit unserer Gesellschaft zu erhalten. Denn heute, mehr denn je, sind wir auf sie angewiesen. Wenn wir als Politik diesen Auftrag ernst nehmen, dann können wir zu Recht von einer guten Zukunft des „Wissenschaftslandes Sachsen“ sprechen.

1 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Tabellen/frauenanteile-akademischelaufbahn.html

2 Post, C./ Byron, K. (2015): Women on Boards and Firm Financial Performance: A Meta-Analysis. In: The Academy of Management Journal. Vol. 58(5), S. 1546–1571.