Video: Historische Aufarbeitung und Anpassung von Erinnerungskultur im öffentlichen Raum

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD

„Geschichtsvergessenheit entgegentreten – Forderungen der Bilderstürmer nicht nachgeben“

12. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 15.07.2020, TOP 10

 

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen

die AfD spielt sich mit ihrem Antrag als Hüterin der deutschen Geschichte auf. Dabei geht es der Bewegung „Black Lives Matters“ nicht um das Negieren oder das Vergessen von Geschichte, sondern im Gegenteil, um eine kritische Auseinandersetzung. Eine Kritik, die Ihnen aber nicht schmeckt. Die Ihr verklärtes Bild des Abendlandes stört. Also bedienen sie sich der Abwehrreflexe, die manche verspüren, wenn lange Zeit unberührte Zeitzeugnisse in Frage gestellt werden. Sie werfen sich schützend vor Kultur-Denkmale. Dabei vermisse ich bei der AfD sowohl einen zeitgenössischen Begriff von Kultur – da sind sie offenbar noch nicht in der Gegenwart angekommen – als auch das Denken an sich.

Denn, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, was die AfD hier fordert, ist nichts anderes als eine „totale Konservierung“ von Geschichte. Sie stellt sich im Punkt II. 2. gegen jegliche Veränderung oder Kommentierung von historischen Zeitzeugnissen im öffentlichen Raum. Das ist nicht gerade ein Beleg dafür, dass hier jemand verstandesmäßig das Thema so einigermaßen erfasst hat. Als gäbe es jemals einen Stillstand bei der Betrachtung von Geschichte. Als könnte man kulturelles Erbe mit einem Schlussstrich versehen. Als ob historische Leistungen durch eine Neu-Einordnung gänzlich in Abrede gestellt werden sollen.
Sie brandmarken jeden Anspruch auf Veränderung als „Ideologie“ und „Verfremdung“. Neue Erkenntnisse sind für Sie „Umdeutung“ historischer Persönlichkeiten oder gar der abendländischen Kultur. Wenn man dem Verständnis der AfD vom Abendland folgt, dann gute Nacht Abendland!

Die AfD will eine ungestörte, behagliche Rückschau auf ruhmreiche Zeiten. Historische Aufarbeitung soll ihrem dumpfen Nationalstolz bloß nicht im Wege stehen. Wenn man ihre Forderung mal zu Ende denkt, dann würde sie sogar Ehrenmale aus einer ganz bestimmten Phase deutscher Geschichte erhalten wollen, die einer ihrer Frontmänner mal mit dem Begriff „Vogelschiss“ bedacht hat.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
man kann diesen Antrag, so krude er ist, nicht einfach wegwischen. Denn die Forderungen sind ein Angriff auf die „Black Lives Matter“-Bewegung und auf die fortschreitende Diskussion von Rassismus und Kolonialismus. Alle, die sich konsequent gegen Rassismus einsetzen, sollen als potentielle Gewalttäter an der deutschen Geschichte markiert werden.

Wir BÜNDNISGRÜNE solidarisieren uns mit „Black Lives Matter“ und befürworten eine kritische, wissenschaftliche Überprüfung historischer Objekte. Kulturelles Erbe ist nicht statisch. Man muss immer fragen, was hat das mit uns heute zu tun? Und wenn wir zu dem Schluss kommen, dass eine historische Botschaft mit den Werten der Menschenwürde nicht vereinbar ist und Mitglieder unserer Gesellschaft ausgegrenzt, dann können wir sie nicht einfach unkommentiert stehen lassen.

Es geht um die Wahrnehmung historischer Kontinuitäten. Die Diskriminierung von People of Color heute wurzelt in der europäischen Kolonialgeschichte und der Rassentheorie im 19. Jahrhundert. Sie gipfelt in Angriffen, von denen die Ermordung von Marwa el-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal vor 10 Jahren nur eine der schrecklichsten Taten war.

Der öffentliche Raum ist keine neutrale Zone. In ihm werden Werte verhandelt. Wir können bei historischen Persönlichkeiten zwar nicht so tun, als würden sie heute leben und handeln. Aber: Die Erinnerung an sie, ist keine Erinnerung im Jahr 1910, sondern im Jahr 2020. Erinnerungskultur ist Teil unserer Alltagskultur. Und deshalb ist eine wissenschaftliche Prüfung notwendig, seien es Objekte in Museen, Straßennamen oder Denkmale im öffentlichen Raum. Es geht dabei immer um eine öffentliche Debatte, die Offenlegung der angewendeten Kriterien und einen demokratischen Prozess, nicht um eigenmächtiges Handeln. Häufig liegt der Kompromiss in einer kritischen Kontextualisierung, einer zusätzlichen Erinnerungstafel etwa.

Ein Beispiel für kritische Erinnerungskultur bei Denkmalen ist der Umgang mit dem Gedenkobelisken im Dresdner Ortsteil Nickern. Er trägt die Inschrift: „Wir gedenken der Opfer des anglo-amerikanischen Bombenterrors“. Laut Beschluss des Stadtrates soll hier kein Wohlfühlort für Geschichtsrevisionisten erhalten bleiben. Das Denkmal soll so ergänzt werden, dass sowohl die Erinnerung an die Kriegstoten als auch an die Ursachen von Krieg und Vernichtung möglich ist.

In Leipzig wird derzeit über den Zoo-Gründer Ernst Pinkert debattiert. Er hatte nicht nur viel für Leipzig erreicht, er hatte auch die Völkerschauen zu verantworten. Der Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen fordert zurecht eine bessere Aufarbeitung dieser kolonialen Geschichte. Kritisiert wird die Namensgebung einer Straße und einer Schule, aber es geht auch um eine bessere Sichtbarkeit der Aufarbeitung auf dem Zoo-Gelände. Pinkert mag ein „Kind seiner Zeit“ sein, deshalb muss aber trotzdem sein menschenverachtendes Handeln benannt werden, statt ihm einseitig zu gedenken.

Eine solche Einseitigkeit will die AfD zur Pflicht erheben. Wir lehnen diesen Antrag selbstredend ab.