Für Wissenschaftsfreiheit und ein selbstbestimmtes ziviles Leitbild für Hochschulen und Wissenschaft

Claudia Maicher spricht im Plenum des Sächsischen Landtags

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: „‚Frieden braucht Mut.‘: Ein ziviles Leitbild für Hochschulen und Wissenschaft einführen und gesetzlich garantieren!“ (Drs 8/379)

3. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Dienstag, 19.11.2024, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

wir behandeln heute auf Antrag der Linksfraktion nach dem AfD-Antrag jetzt die zweite vermeintliche Friedensinitiative. Diesmal soll ein weltweites Recht auf Frieden und selbstbestimmtes Leben in „Frieden, Freiheit, Würde und sozialer Sicherheit“ umgesetzt werden, indem die Wissenschaftsfreiheit an sächsischen Hochschulen gesetzlich eingeschränkt wird.

Ich finde das nicht besonders mutig – wie der Titel suggeriert – in Zeiten des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und in Zeiten der Bedrohung von Wissenschaftsfreiheit. Sondern ziemlich naiv. Und ich möchte das auch begründen.

Das Grundgesetz und auch die Sächsische Verfassung garantieren die Wissenschaftsfreiheit.
Das bedeutet, dass Forschende ihre Fragestellungen und Methodik frei wählen, die Ergebnisse frei bewerten und frei verbreiten dürfen. Frei von staatlicher Einflussnahme.

Das ist eine Garantie, hinter die wir nicht zurücktreten wollen. Die Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes nimmt das Wissenschaftssystem und die einzelnen Forschenden aber auch in Verantwortung.

Unsere Hochschulgesetznovelle aus dem Jahr 2023 geht sogar noch einen Schritt weiter, Sie müssten es bemerkt haben: Forschende sollen sich mit den Möglichkeiten der Nutzung ihrer Forschungsergebnisse auseinandersetzen. Das schließt die Möglichkeit einer militärischen Nutzung ein.

Sie wissen auch, dass es unseren Hochschulen unbenommen ist, sich selbst Zivilklauseln zu geben. Das muss auch weiterhin möglich sein. Auch das ist Wissenschaftsfreiheit.

Aus diesem Grund existieren Zivilklauseln an der TU Chemnitz und auch an außeruniversitären Forschungseinrichtungen, wie dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf.

Es gibt an den Hochschulen ein großes Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft, davon zeugen die Leitbilder für gesellschaftlich verantwortungsvolle Lehre, die Ethik- und Transparenzklauseln, die ausführlichen Beschreibungen von entsprechenden Drittmittelprojekten.

Und wer da glaubt, unsere Forschenden würden sich ohne ethischen Kompass und außerhalb der Grenzen unserer freiheitlichen-demokratischen Grundordnung im Sinnbild wehender Fahnen einer kriegsbefürwortenden Logik unterwerfen, der hat wahrlich ein verqueres Bild von Forschung, von Innovation und akademischer Freiheit.

Wenn es Ihnen hier ernsthaft um eine breit getragene Diskussion zu Zivilklauseln gehen würde, hätten Sie sich auch die Mühe gemacht, deren Weiterentwicklung in den vergangenen zehn Jahren zu betrachten.

Moderne Zivilklauseln sprechen Gemeinwohl, Transformationsprozesse, Bildung für nachhaltige Entwicklung, die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, die Verbesserung von Lebens- und Umweltbedingungen und vieles mehr an.

Die Begründung Ihres Antrags ist daher bestenfalls anachronistisch und dient offenbar nur dem Wettbewerb mit BSW und AfD, um die größte Friedensoffensive.

Mit der Beschreibung von Wirklichkeit hat der vorliegende Antrag nichts zu tun. Sie hätten sich zum Beispiel anschauen können, welche Relevanz Militärforschung oder Auftragsforschung für militärische und sicherheitsrelevante Zwecke für die sächsischen Hochschulen haben.

Einen guten Überblick bieten die Kleinen Anfragen Ihrer ehemaligen hochschulpolitischen Sprecherin. Die Antwort lautet: PRAKTISCH KEINE. Der Einfluss von eingeworbenen Drittmitteln bewegt sich in einem geringen Bereich.

Demnach ist es auch kein taugliches Argument für die Forderung nach einer auskömmlichen und aufgabengerechten Finanzierung unserer Hochschulen. Die aber unbestritten wichtig ist für Lehre genauso wie für die Grundlagenforschung.

Abgesehen davon ist Ihnen die Dual-Use-Problematik nicht mal eine Erwähnung wert ist.
Wo fängt für den Gesetzgeber und dann Kontrolleur Militärforschung oder militärisch-nutzbare Forschung an? Sind Erkenntnisse zu Navigation, Telekommunikation, Wetter, Erdbeobachtung, Medizin, Textilien, Quantentechnologie oder Nanomaterialien militärisch nutzbar? Selbstverständlich!

Wollen Sie diese Forschung China und Russland überlassen? Genauso wie die Entwicklung von hochkomplexen und modernen Luftverteidigungssystemen die Städte, Zivilisten, Infrastruktur oder Geburtsstationen vor Angriffen schützen?

Es ist nicht nachvollziehbar, wie die existenziellen Themen Frieden, Schutz der Freiheit auf der einen und verfassungsrechtliche Garantien auf der anderen Seite, in einem derart oberflächlichen Schaufensterantrag in diesen Zeiten dem Hohen Haus vorgelegt werden.

Wir BÜNDNISGRÜNE stehen zur konsequenten Wissenschaftsfreiheit. Wir stehen zu der Möglichkeit, dass Hochschulen sich selbstbestimmt Zivilklauseln geben können. Wir kämpfen für eine Erhöhung der Grundausstattung. Und wir stehen fest an der Seite derer, die Frieden und Freiheit in Europa verteidigen.

Ihren Antrag lehnen wir ab.