Wir können es uns nicht leisten, dass fast fertige Medizinerinnen und Mediziner abwandern

Presse − Landtagsreden
Datum: 30.01.2019

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher zum Antrag der Fraktion GRÜNE:
„Praktisches Jahr nicht zum Null-Tarif – Medizinstudium attraktiver machen“ (Drs 6/15390), Mittwoch, 30. Januar, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

„Um Medizinstudenten in Sachsen zu halten, ist die Vergütung des Praktischen Jahrs im Wettbewerb mit anderen Ländern ein wichtiger Aspekt“ – dieses Zitat stammt nicht von mir, es stammt aus dem neuesten Newsletter der sächsischen Sozialministerin Klepsch.
Das sind ganz neue Töne aus den Reihen der Staatsregierung, nachdem wir GRÜNE diesen Antrag im November vorgelegt haben.

Noch im Dezember klang das bei der sächsischen Wissenschaftsministerin Frau Dr. Stange ganz anders. In ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag schrieb sie, dass sie zwar keine Ahnung habe, wie Teilnehmende des PJ ihren Lebensunterhalt finanzieren, aber eine flächendeckende Vergütung schon allein deshalb ein Problem wäre, weil dann den Lehrkrankenhäusern im ländlichen Raum die Leute ausgehen könnten.
Auf Missstände mit Missständen zu reagieren – das ist eine falsche politische Lösungsstrategie, Frau Ministerin Stange!

Mit unserem Antrag für eine faire Vergütung und bessere Bedingungen im Praktischen Jahr schlagen wir konkrete Verbesserungen vor. Davon profitieren nicht nur die Medizinstudierenden sondern auch die Menschen in Sachsen, die eine ordentliche Versorgung mit gut ausgebildeten Ärztinnen brauchen.
Wir können uns das Risiko nicht leisten, dass fast fertige Medizinerinnen und Mediziner auf den letzten Metern der Ausbildung abwandern.

Das Praktische Jahr bildet den Abschluss des Medizinstudiums, in dem Studierende an Universitätskliniken oder Lehrkrankenhäusern das theoretisch Gelernte mit knapp einem Jahr Praxis ergänzen.
Das gibt es auch bei anderen Studienrichtungen. Angehende Lehrerinnen und Lehrer und Juristinnen und Juristen haben auch ein bis zwei Jahre Praxispflicht.
Der entscheidende Unterschied ist aber, dass beim Referendariat die Vergütung klar geregelt ist.
Davon können die Medizinstudierenden nur träumen. Die Approbationsordnung, die bundesweit das Praktische Jahr regelt, sieht für eine Vergütung nur einen Höchstsatz vor, die Mindestvergütung fehlt – nach unten ist die Skala offen.

In Sachsen liegt die Vergütung zu oft bei Null. Besonders die sächsischen Universitätskliniken, an denen besonders viele das PJ absolvieren, zahlen meistens gar nichts oder nur an einigen Kliniken.
Das muss man sich einmal vor Augen halten: Ein Jahr lang gehen Studierende in Vollzeit arbeiten und erhalten dafür 0 Euro. Und auch BAföG bekommen in dieser Zeit viel zu wenige.
Wenn man dann noch weiß, dass zum Beispiel an der Universitätsklinik in Thüringen das Praktische Jahr vergütet wird, wird klar, dass die Gefahr des Abwanderns eine sehr reale ist.
Das wollen wir nicht einfach so weiterlaufen lassen!

Die Staatsregierung muss mit den sächsischen Unikliniken Vereinbarungen abschließen, dass das praktische Jahr flächendeckend vergütet wird. Und zwar mit dem Höchstsatz, den die Approbationsordnung derzeit erlaubt.
Das dafür notwendige Geld muss den Universitätskliniken zur Verfügung gestellt werden. Hier böten sich zum Beispiel die vielen Millionen Euro an, die seit Jahren aus den sogenannten BAföG Mitteln nicht ausgegeben werden können.

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen ist gefordert, angehende Ärzte mehr als bisher im Praktischen Jahr zu unterstützen.
Denn sie hat die fachärztliche Versorgung in Sachsen sicherzustellen. Es ist also im Interesse der KVS, ihre zukünftigen Kolleginnen und Kollegen in Sachsen zu halten.

Aktuell sind die Zuschüsse für Studierende, die in einer Arztpraxis ihr Praktisches Jahr im Bereich Allgemeinmedizin absolvieren, laut Aussage der Wissenschaftsministerin auf 90.000 Euro jährlich begrenzt. Die Nachfrage steigt stetig. 2018 wurden die Mittel voll ausgeschöpft.
Suchen Sie im Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung nach Wegen, wie in Zukunft mehr Studierende von einem solchen Zuschuss profitieren können.
Bei der Vergütung kann Sachsen vorangehen und eine Vorbildfunktion einnehmen.

Bei einer weiteren Baustelle brauchen wir die Unterstützung der anderen Länder. Die Approbationsordnung, die nach Bundesrecht erlassen wird, erlaubt insgesamt nur 30 Tage Fehlzeit im gesamten Praktischen Jahr.
30 Tage, die alles abdecken müssen, Krankheitstage, Urlaub, unerwartete Ereignisse bis hin zu Prüfungsvorbereitungszeiten. Denn die Prüfung schließt sich unmittelbar ans PJ an.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf sechs Wochen Krankschreibung unter Lohnfortzahlung plus einen Urlaubsanspruch.

Ja, das PJ ist Teil des Studiums, aber die Medizinstudierenden arbeiten, ebenfalls ein Jahr lang in Vollzeit.
Wir schlagen deshalb vor, dass die Approbationsordnung überarbeitet wird und zusätzlich zu den 30 möglichen Fehltagen der gesetzliche Urlaubsanspruch eingeführt wird.

Und ein letzter Punkt: Wir brauchen in Sachsen einen fundierten, regelmäßig fortzuschreibenden Überblick über den Verbleib der Medizinstudierenden nach ihrem Abschluss. Das ist für die Versorgung aller Menschen in Sachsen entscheidend.
Wir wollen mit einem Monitoring auch herausfinden, ob Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität im Medizinstudium z.B. die höhere Vergütung im Praktischen Jahr Wirkung zeigen und ob und wo ehemalige Medizinstudierende nach dem Studium im Freistaat tätig werden. Das Monitoring soll auch Klarheit darüber schaffen, welche Ursachen einem Nicht-Verbleib zugrunde liegen.

Wir haben für diesen Antrag im Vorfeld viel Zuspruch von den Betroffenen und aus den Fachkreisen erhalten. Der bundesweite Protesttag der Medizinstudierenden vor zwei Wochen hat die Brisanz des Themas auch noch einmal unterstrichen.
Es wird sich heute zeigen, ob das Umdenken bei Staatsregierung und bei CDU und SPD wirklich soweit gediehen ist, wie es Frau Klepsch glauben machen möchte. Zu begrüßen wäre es.

Ich bitte deshalb, stimmen Sie unserem Antrag zu.