Sachsen grüner machen! 12. November 201012. November 2010 zusammen mit Volkmar Zschocke, Landesvorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen Am 6. November hat mich die Landesversammlung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen zur Landesvorstandssprecherin gewählt. Hier ist meine Rede zur Bewerbung. Liebe Freundinnen und Freunde, Die Anzahl armer Kinder in Sachsen ist erschreckend. Jedes vierte Kind hier in Sachsen ist von Armut bedroht und abhängig von staatlichen Transferleistungen. In manchen Kommunen wie in meiner Heimatstadt Leipzig ist es jedes dritte Kind. Es bedrückt mich zutiefst im Kindergarten mit anhören zu müssen, dass Eltern von den Erzieherinnen inständig gebeten werden, die Kinder wieder zum Mittagessen anzumelden. Bei 2,62 EUR Regelsatz fürs Essen bleibt nach 1,10 EUR Mittagsgeld nicht viel. Den Rest des Tages kriegt man für 1,52 EUR niemanden satt. Also sitzen die Kinder weiter allein am Tisch und schauen den anderen zu. Und so wie die Sozial- und Bildungspolitik in Sachsen heute ist, bereitet sie dieses daneben sitzen schon einmal auf Ihre Leben vor. Das kann und will ich nicht hinnehmen. Wir haben heute eine Jugend, von der ein Viertel sagt, sie sieht in Sachsen keine Perspektive. Wir haben fast 12 Prozent Schulabgänger ohne Schulabschluss in Sachsen. Sachsen ist zwar PISA-Siegerland – aber nur – weil Kinder besonders früh und konsequent aussortiert werden. Das alles führt uns in Richtung einer gesellschaftlichen Schieflage. Was wir in Sachsen brauchen ist eine ehrliche Politik der Chancengerechtigkeit. Und was wir nicht brauchen sind die planlosen, intransparenten und nicht notwendigen Kürzungen im Sozialministerium. In der Jugendhilfe führt das zwangsläufig zur Reduzierung der Angebote – und gerade wir hier in Sachsen erleben es doch, wie Löcher in der Jugendarbeit mit brauner Soße volllaufen. Kinder- und Jugendarbeit nach Haushaltslage, liebe Freundinnen und Freunde, das können wir uns in Sachsen nicht leisten. Übrigens: Als Haushaltskonsolidierung hilft das mutwillige Zerstören dieser Strukturen nur ganz kurz, denn seit Jahren ist bekannt: Soziale Verwerfungen in der Gesellschaft sind teuer. Preiswerter ist eine Politik, die soziale Verwerfungen gar nicht erst entstehen lässt. Liebe Freundinnen und Freunde, wir wollen eine nachhaltige, emanzipative Sozialpolitik. Und hier grenzen wir uns deutlich von der Linkspartei und auch großen Teilen der SPD ab. Wir wollen keine klassische dogmatische Umverteilungspolitik. Wir wollen nicht den paternalistischen Sozialstaat, der sich in erdrückender, Initiative erstickender Art und Weise um das Wohl SEINER Schwachen sorgt und der vorgibt, besser zu wissen, was gut für seine Bürgerinnen und Bürger ist. Es geht uns um reale Wege aus der Armut und – wichtiger – echte Prävention vor Armut. Wir trauen den Menschen zu, selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten, wenn sie frei von Existenzängsten sind. Dafür brauchen wir einen ermutigenden Sozialstaat und Vielfalt statt Gleichmacherei. Aber nicht nur die Linkspartei kämpft mit längst überholten ideologischen Reflexen. Der Dreiklang der Industriepolitik der 1960er-Jahre: Beton, Uran, Asphalt ist für schwarz-gelb scheinbar immer noch die gültige Antwort auf die aktuellen Fragen der Energie- und Verkehrspolitik. Mit krampfhaftem Festhalten an Atomkraft und Braunkohle verspielen sie die enormen Möglichkeiten, um mit erneuerbaren Energien und einer material- und ressourcenschonenden Wirtschaft wirklich zukunftsfähige Arbeitsplätze – gerade auch für Sachsen – zu schaffen. Die Energiepolitik von schwarz-gelb folgt bei Braunkohle und Atomkraft der Devise: Die Gewinne fließen auf das Konto, das Grundwasser in die Asse. Gewinne privatisieren, die Probleme sozialisieren. Das ist Politik auf dem Rücken derer, die noch nicht geboren sind! Und darum ist es gut, dass heute in Gorleben zehntausende Menschen – auch etliche Busse von uns sächsischen Bündnisgrünen – zusammengekommen sind, um dafür zu kämpfen, dass unsere Erde nicht heruntergewirtschaftet wird, nur damit ein paar Konzerne für ein paar Jahre Milliardengewinne machen. Die Castorbehälter rollen auf der Schiene Richtung Gorleben. Mit dem Zug ans Ziel zu kommen ist für viele Menschen in Sachsen bald nur noch eine Erinnerung an bessere Tage. Die rückwärtsgewandte schwarz-gelbe Verkehrspolitik setzt immer noch auf überdimensionierte und naturzerstörende Straßenbauprojekte wie die B93n im Erzgebirge oder die Waldschlößchenbrücke in Dresden. Dafür lässt sie in Nossen, Sebnitz und vielen sächsischen Orten die Menschen an der Bahnsteigkante stehen! Wer kein Auto haben will oder kann gehört anscheinend nicht in den Geschäftsbereich von Verkehrsminister Morlok. Und man muss sich als politischer Mensch sorgen, wie Ministerpräsident Tillich mit seiner CDU für eine wachsende Distanz zwischen Regierenden und Regierten sorgt. Und Herr Flath verbietet den Kirchen in Sachsen kritische Worte zur Regierungspolitik, dafür seien die Oppositionsparteien zuständig! Auch wenn ich 1989 bei den Demonstrationen in Erfurt erst 11 Jahre alt war, gehört der aufgestaute Frust der Leute auf die alles dominierende Einheitspartei und die Lust auf freie Meinungsäußerung zu einer meiner ersten politischen und demokratischen Erfahrungen. Nach 20 Jahren ununterbrochener Regierung in Sachsen ist immer mehr zu spüren, wie die CDU in Selbstgefälligkeit und Allgegenwärtigkeit erstarrt. Diese Situation erinnert mich an die CSU in Bayern vor wenigen Jahren. Dort sind heute politische Optionen greifbar, die noch vor kurzer Zeit undenkbar waren. Auch politische Strukturen, die wie in Beton gegossen wirken, sind es nicht! Wir können und wollen die politische Situation in Sachsen ändern! Liebe Freundinnen und Freunde, Sachsen braucht Grüne Ideen und Grüne Politik, denn wir stehen vor immensen Herausforderungen. Könnte man den demografischen Wandel hören, dann wäre Sachsen das lauteste Bundesland der Republik. Nicht irgendwann in der Zukunft, sondern bereits heute und es wird jeden Tag lauter. Wir brauchen schnell, gute Antworten, denn viele Gewissheiten werden durch den demografischen Wandel auf den Kopf gestellt. Schon heute ganz offensichtlich sind die zukünftig fehlenden Arbeitskräfte. Und da reicht es nicht technokratisch qualifizierte Einwanderung zu fordern und den Bedarf zu formulieren – wie es die Regierung tut – sondern eine Willkommenskultur zu entwickeln, die tatsächlich einlädt. Wir wollen keine Gastarbeiter 2.0 sondern Menschen, die sich hier wohlfühlen, deren Kinder hier aufwachsen und Sachsen bereichern. Dazu gehören auch attraktive und leistungsfähige Hochschulen in Sachsen, die Studierende von überall her anziehen. Forschung und Entwicklung, Innovationen sollen aus Sachsen kommen! Fehlende Kitaplätze, schließende Museen und Kultureinrichtungen, der ÖPNV auf dem Abstellgleis: Das alles verhindert, dass gut qualifizierte und ambitionierte Frauen bleiben und vielleicht sogar eines Tages mehr kommen als abwandern! Hier wird es ganz deutlich: Frauenförderung ist kein feministisches Dogma, sondern Erfolgsfaktor für Sachsen! Liebe Freundinnen und Freunde, Ich bewerbe mich in einer Phase als Sprecherin des Landesverbandes, in der unsere Partei im Höhenflug der Gunst der Wählerinnen und Wähler segelt. Grün-Rote Bündnisse werden diskutiert. Gute Umfrageergebnisse sind noch keine Erfolge. Doch was sie uns zeigen, ist das Potenzial, das eine ökologische, soziale und – das gehört dazu – solide Politik mobilisieren kann. Das sollten wir als ermutigendes Zeichen bewerten. Es soll uns Ansporn sein, auch hier in Sachsen dieses Potenzial abzurufen. Das wird uns nur gelingen, wenn wir die guten Werte bei den Umfragen auch – und das sehe ich als Leitlinie meiner Arbeit – als gewachsene Verantwortung wahrnehmen und Gestaltungsanspruch erheben. Wir müssen das, was wir für richtig und gut halten, begründen und immer wieder erklären, ohne jemanden nach dem Mund zu reden. Das sehe ich als meine Aufgabe als Landessprecherin. Politik ist Kommunikation. Und nicht zuletzt Dank der neuen Medien verläuft sie immer weniger in Form einer Einbahnstraße. Liebe Freundinnen und Freunde, ich bewerbe mich, weil ich für eine gute Politik und diesen Landesverband arbeiten will. Gemeinsam mit dem Vorstand und Euch, den Mitgliedern, etwas bewegen – Sachsen grüner machen – das möchte ich. Und dafür bitte ich um Euer Vertrauen. Weiteres zum Thema:Auf Nachbarschaftstour beim Buchkinder Leipzig e.V. 27. März 2024 Was bedeutet eigentlich Inklusion? 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