Rede zu den Entwicklungschancen interkultureller Kulturarbeit

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Diesen Redebeitrag finden Sie auch hier im Video.

Rede der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher zur Großen Anfrage der Fraktion GRÜNE ‚Interkulturelle Kulturarbeit – Chancen für die Entwicklung von Kunst und Kultur im Einwanderungsland Sachsen‘
40. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. September 2016, TOP 6, Drs. 6/3015
– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sachsen ist zum Glück ein Einwanderungsland – auch wenn die Anerkennung dieser gesellschaftlichen Realität in Sachsen auch von manchen hier im hohen Hause erst nach und nach vollzogen wird.
Leider sehen viele Menschen im Freistaat die Chance nicht. Nein, im Gegenteil, viele Menschen im Freistaat sind gegen Zuwanderung. Sie sprechen sich offen gegen eine vielfältige Gesellschaft aus. Häufig ist von Angst die Rede. Oder von der Furcht vor Überfremdung.

Die Angst und Furcht mancher Bürgerinnen und Bürger mündet dabei nicht selten in offen zum Ausdruck gebrachtem Hass, in Übergriffen auf Andere.
Sie, Herr Ministerpräsident Tillich, haben es Anfang des Jahres selbst ausgesprochen. Ich zitiere: >>Ja, es stimmt: Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, und es ist größer, als viele […] wahrhaben wollten<< Zitat Ende. (MP in Sondersitzung 22.02.16).

Es ist beschämend, dass unser Bundesland vielerorts in einem Atemzug mit Fremdenfeindlichkeit genannt wird. Dass Sachsen das Land mit den meisten rechtsextrem motivierten Straftaten ist.

Ursachen und Gründe gibt es sicher viele, die zu einer solchen Situation in Sachsen beigetragen haben. Aber ich frage mich, wie intensiv die Staatsregierung nach Auswegen, nach Lösungen sucht, um dieser Situation zu entkommen.

Eine Möglichkeit, die Überwindung von Vorurteilen und den Abbau von Ängsten gegenüber dem jeweils anderen zu befördern, ist für meine Fraktion die interkulturelle Kulturarbeit.

Die stark zunehmenden interkulturellen Aktivitäten im Kunst- und Kulturbereich sind wichtig. Es gibt die Interkulturellen Wochen und auch immer mehr Kunst- und Kulturprojekte, die durch Migrantinnen und Migranten gestaltet werden.

Ich konnte vor einigen Wochen das Theaterstück Brennpunkt X im ‚Theater der Jungen Welt‘ in Leipzig besuchen. Die Staatsministerin Frau Köpping war als Schirmherrin auch dabei.
Ein beispielhaftes interkulturelles Projekt, nicht nur weil es ein gemeinsames Stück von Ensemble und Geflüchteten ist. Sondern vor allem, weil es die Zuschauer zum Hineinversetzen zwingt in unterschiedliche Kulturen, Herkünfte, Probleme beim Aufeinandertreffen, in die Zerrissenheit von Amtspersonen bei der Erfüllung politischer Vorgaben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vielleicht sollten auch wir alle einmal gemeinsam als Sächsischer Landtag dieses Stück ansehen.
Solche Projekte können unser aller Vorstellungen verändern, Empathie wecken. Interkulturelle Kulturangebote können treibende Kraft für eine gesellschaftliche Entwicklung sein – sie richtet sich an alle, die hier in Sachsen leben.

Wir wollten mit der Großen Anfrage eine umfangreiche Bestandsanalyse und die Diskussion von Handlungsmöglichkeiten sowie den Umsetzungsstand und Weiterentwicklungsbedarf der bereits 2011 beschlossen beispielhaften Empfehlung des Kulturausschusses der Kultusministerkonferenz „Interkulturelle Kulturarbeit“ abfragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
um es auf den Punkt zu bringen – die Antworten der Kulturministerin auf unsere Große Anfrage sind erschütternd. Das einzig Positive ist das große Engagement sächsischer Kultureinrichtungen und Kulturschaffender, auf das in den Antworten großzügig verwiesen wird.

Auf eigenes – kulturpolitisches – Handeln, können Sie, Frau Ministerin, nicht verweisen.

Dass dem so ist, wundert mich nicht. Zumindest legen ihre Antworten schonungslos offen, wie wenig sie über interkulturelle Kulturarbeit wissen und wie wenig sie vorhaben:
Es liegen keine Kenntnisse über die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am kulturellen Leben, deren Anteil an der Besucher- und Publikumsstruktur sowie deren Mitgestaltung und künstlerisches Schaffen in Sachsen vor.

Stattdessen zeigen sie klar ihre Grenzen von Teilhabe in staatlichen Kultureinrichtungen auf: Zitat >>Die Optionen zur Gewinnung von migrantischen Zielgruppen sind aufgrund der Hochpreisigkeit des Angebots der sächsischen Staatsoper im Bereich Vorstellungen in der Semperoper begrenzt.<<

Damit fallen sie nicht nur ein Pauschalurteil über alle Migrantinnen und Migranten, nein sie lassen mit diesem Verständnis den Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten zu.
Sie wissen nichts über die Einstellungen und Handlungsweisen von Menschen ohne Migrationshintergrund in Bezug auf fremde Kulturen und kulturelle Vielfalt.
Die Bedarfe der Kultureinrichtungen, die ja bereits viel interkulturell arbeiten, werden nicht abgefragt.

Eine spezielle Förderung der Vernetzung zwischen Einrichtungen, Migrantenorganisationen und Kulturschaffenden gibt es nicht.

Mittel zur Förderung interkultureller Kulturarbeit werden von dem Ressort der Kunstministerin nicht vergeben, geschweige denn Würdigungen, Preise oder Wettbewerbe im Bereich der interkulturellen Kulturarbeit.

Sie unterstützen aber auch nicht die Professionalisierung des interkulturellen Kulturmanagements:

Ein flächendeckendes Qualifizierungs-oder Weiterbildungsangebot zum Erwerb interkultureller Kompetenz für Beschäftigte der Kulturverwaltung oder öffentlicher Kultureinrichtungen gibt es nicht.
Dem Sozialministerium sind keine Fortbildungsangebote oder Fachberatungen für Fachkräfte in der Jugend- und Erwachsenenarbeit mit dem Schwerpunkt interkulturelle Kulturarbeit bekannt.

Kenntnisse hinsichtlich interkultureller Aktivitäten von Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen in Kindertageseinrichtungen, an Schulen oder außerunterrichtlich haben sie nicht.

Sie haben keine Kenntnisse über den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund unter den Beschäftigten in den staatlichen Kultureinrichtungen. Und Sie wollen das auch gar nicht wissen, denn Sie beabsichtigen auch zukünftig keine Strategie zur Förderung von Diversität in der Personalentwicklung. Zitat: >>Für die Kultureinrichtungen des Freistaates Sachsen gilt allgemein, dass angesichts der im Moment geringen Zahl an Neueinstellungen eine Diversitätsentwicklung nicht explizit berücksichtigt wird.<<

Diese Einstellung ist ein Armutszeugnis, nicht nur bezüglich Interkulturalität, sondern auch mit Blick auf den demografischen Wandel.

Nun könnte man zurecht sagen, wir stehen am Anfang in Sachsen. Jahrelang schien das Thema keine große Bedeutung zu haben, weil nur wenige Menschen zu uns kommen wollten. Aber spätestens jetzt mit der Einwanderung neuer Mitbürgerinnen und Mitbürger, spätestens jetzt bei den deutlich gewordenen gesellschaftlichen Spannungen, aggressiven Diskussionen, und Spaltungen müssten doch auch sie erkennen, wie wichtig die aktive Förderung interkultureller Kunst und Kultur ist. Und zwar nicht nur als Flüchtlingsarbeit, nicht nur zur Integration von Asylbewerbern sondern auch für diejenigen die hier in Sachsen seit 10, 20, 50 oder 90 Jahren leben.

Es geht um den Austausch, das Miteinander, Einflüsse verschiedener Sichtweisen und künstlerischer Ausdrücke auch mit Wirkung in die Aufnahmegesellschaft. Ihnen geht es offensichtlich nur darum – ich zitiere Sie >>die Neuankömmlinge mit der deutschen Kultur vertraut zu machen und sie später im Integrationsprozess zu begleiten, d.h. sie zunehmend an den allgemeinen Angeboten teilhaben zu lassen.<<

Ein Konzept zur Förderung interkultureller Kulturarbeit in Sachsen gibt es nicht und sie arbeiten auch nicht dran. Das ist ein schweres Versäumnis!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bitte entschuldigen sie die Monotonie meiner Auflistung. Aber ich halte den fehlenden Willen der Staatsregierung, in diesem Bereich Wissen zu erlangen und gestalten zu wollen, für fahrlässig gerade in Sachsen mit der zunehmenden Dialogunfähigkeit und fehlender Akzeptanz anderer kultureller Herkünfte, Einstellungen und Lebensentwürfe.

Da reichen auch nicht die zugegebenermaßen sehr deutlichen und richtigen Worte von Ihnen, Frau Stange, z.B. beim Fachtag Soziokultur des LV Soziokultur. Doch ich bin ihnen dafür dankbar!
Wir brauchen hier mehr denn je eine interkulturelle Öffnung, eine vielfältige Kulturgesellschaft, Bewegung statt Stillstand und die klare Positionierung und den Willen das auch umzusetzen von Seiten der Kulturministerin.

Wir unterstützen Sie dabei. Aus diesem Grund werden wir im Anschluss an die Aussprache unseren Entschließungsantrag ‚Interkultureller Kulturarbeit im Einwanderungsland Sachsen‘ einbringen.

Vielen Dank.

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Interkulturelle Kulturarbeit – Chancen für die Entwicklung von Kunst und Kultur im Einwanderungsland Sachsen (Entschließungsantrag)