Wir müssen ein verlässlicher Partner für die Kulturschaffenden sein

Aktuelle Debatte Kultur – Rederunde 1
Aktuelle Debatte Kultur – Rederunde 2
Aktuelle Debatte Kultur – Rederunde 3

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte der BÜNDNISGRÜNEN-Fraktion „Der regionalen kulturellen Vielfalt eine sichere Zukunft geben – Zitterpartie der Theater und Orchester beenden“

79. Sitzung des 7. Sächsischen Landtages, Donnerstag, 9.11.2023, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Schlagzeilen reißen seit dem Sommer nicht ab: „Kostenexplosion“, „Zwischen Innovation und Insolvenz“, „Den sächsischen Bühnen steht das Wasser bis zum Hals“

Was ist geschehen? Der Landesverband Sachsen im deutschen Bühnenverein hat in einem Brief die massiven finanziellen Löcher kommunaler Theater beziffert und Staatsregierung und Landtag um Unterstützung gebeten. Der Hilferuf hat nicht nur in der Landespolitik für Aufmerksamkeit gesorgt. Auch vor Ort war das für Publikum und Kulturschaffende ein erschreckendes Signal.

Ich verstehe, dass das Fragen aufwirft. Warum kommen die Theater jetzt, während des laufenden Haushalts? Der Landtag hat die Mittel doch erst aufgestockt? Nun gibt es plötzlich Tarifsteigerungen und das Geld reicht nicht mehr? War das nicht absehbar? Lässt sich das nicht mal längerfristig klären?

Im Moment warten alle auf Klarheit. Immerhin reden wir hier von mehr als 1.500 Beschäftigen an 10 Einrichtungen in ganz Sachsen, vom künstlerischen Personal über die Beschäftigten in Verwaltung und Bühnengewerken bis zur Theaterpädagogik.

Es ist höchste Zeit, hier im Parlament zu klären, was uns unsere Theater- und Orchesterlandschaft eigentlich Wert ist und wie wir uns ihre Zukunft vorstellen!

Aber der Reihe nach:

Der Hilferuf wurde von der Staatsregierung gehört. Das Haus von Staatsministerin Klepsch ist dabei, mit den Einrichtungen und den Landkreisen und Kommunen Lösungen für die nächste Zeit zu finden. Wir BÜNDNISGRÜNE begrüßen diesen Schritt ausdrücklich. Wir sind bereit, eine kurzfristige Aufstockung auch seitens des Landtages zu bestätigen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte heute mit Ihnen auch diskutieren, was danach kommt.

Bisher mussten die Theater und Orchester bei jedem Haushalt wieder zittern. Jedes Mal treffen sie auf diese vage Hoffnung in großen Teilen der Politik, dass alles so weiterläuft, weil es bisher doch immer gerade so ging. Aber das ist ein Irrtum. Wir brauchen hier mehr Realismus und Ehrlichkeit!

Ich bin im Gespräch mit den Intendanten und Personalvertretungen. Sie müssen sich doch so langsam verschaukelt fühlen, wenn dieselben Verantwortlichen, die die tolle und reiche und vielfältige Theater- und Orchesterlandschaft loben, gleichzeitig bei der finanziellen Absicherung den Kopf einziehen.

Was nützen die ganzen Bekenntnisse, wenn die permanente Unsicherheit und Planlosigkeit dazu führt, dass die Beschäftigten resignieren, dass viele auf dem Absprung sind. Der Schauspieler geht nach Thüringen, weil dort mehr Sicherheit geboten wird. Die Buchhalterin geht zum nächsten Unternehmen, weil es besser bezahlt. Das ist ein schleichender Prozess.

Da frage ich Sie, wollen wir da weiter zuschauen oder packen wir es an?

Was ich oft höre: „Sollen die doch wirtschaftlicher arbeiten.“ Ob dahinter nun Hilflosigkeit, Zynismus oder Unwissenheit steht – es ist keine gute Idee!

Fusionen und Personalrückbau sind in den vergangenen Jahrzehnten durch. Wo soll da noch in Größenordnungen gespart werden? Da wären ganze Sparten fällig, Tanz hier, Chor da, Musiktheater dort.

Aber ich warne davor, rein betriebswirtschaftlich zu denken und kultur- und gesellschaftspolitische Konsequenzen außer Acht zu lassen. Was sind uns als Gesellschaft die Theater in der Heimat Wert? Darüber müssen wir reden!

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die kommunalen Theaterhäuser brauchen, als erreichbare Orte kultureller Teilhabe und gemeinsame Erfahrungsräume. Als lokale Ankerpunkte, wo kultureller Austausch und Lebensqualität entsteht.

Deshalb appellieren wir BÜNDNISGRÜNE an die Verantwortung nicht nur in der Kulturpolitik, sondern aller im Freistaat. Wir müssen ein verlässlicher Partner für die Kulturschaffenden sein.

Unseren Standpunkt haben wir in einem Positionspapier im August ausführlich dargelegt. Wir wollen Planungssicherheit für die Theater und Orchester über den Doppelhaushalt hinaus. Wir bekennen uns dazu, die bestehenden Standorte in ihrer Spartenvielfalt und ihrem Personalbestand zu erhalten. Wir wollen auch die Innovationsfähigkeit stärken, damit breite Publikumsschichten erreicht werden können. 

Auf Fledermaus und Figaro kann man heute nicht einfach verzichten. Gleichzeitig gilt es Neues auszuprobieren. Und da passiert schon viel. Zum Beispiel geht das Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau mit neuen Theaterformen in den Stadtraum. Das Theater Plauen-Zwickau begeistert Jugendliche aus der Region mit der Jugendtheater-Sparte JUPZ und das Theater Freiberg-Döbeln hat einen eigenen TheaterJugendClub.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

für eine zukunftsfeste Finanzierung braucht es neue Lösungen. Ich freue mich auf die Diskussion.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe in der ersten Runde gesagt, dass wir BÜNDNISGRÜNE zum Erhalt der Theater- und Orchesterstrukturen stehen. Aber wie kommen wir da zu Lösungen?

Wie 2019 mit den Koalitionspartnern CDU und SPD beschlossen, wurde der Kulturpakt als Regelfinanzierung fortgesetzt.

2022 haben wir im parlamentarischen Verfahren zum Doppelhaushalt 2023/24 darum gerungen, dass wir die Mittel nochmals um 2 Millionen Euro jährlich erhöhen. Darüber bin heute sehr froh. So hat es wenigstens noch ein Stück weiter gereicht und 2023 gibt es keine Insolvenz.

Wir stehen jetzt an einem Punkt, wo eine längerfristige Sicherheit geklärt werden muss. Ein erster Schritt wäre ein ordentliches Verfahren, das die Kostenentwicklung frühzeitig und realistisch erfasst.

Es reicht nicht, wenn die Staatsregierung nur auf die wirtschaftliche Momentaufnahme schaut. Und dann stehen wir GRÜNE auch bereit, über eine Dynamisierung zu reden. Einen planvollen Aufwuchs der Mittel des Freistaats und der kommunalen Träger.

Ich rate der Staatsregierung dringend, den Prozess nach dem kurzfristigen Hilfseinsatz nicht wieder abreißen zu lassen. Die langfristige Lösung müssen wir umgehend angehen.

Die konkrete Lösung muss mit Landkreisen und Kommunen diskutiert werden. Aus unserer Sicht soll der Freistaat kommunale Bühnen nicht komplett übernehmen. Sie sollen nicht noch stärker aus den Kulturräumen herausgelöst werden, sondern vor Ort verankert bleiben. Wir sehen aber die Finanzierungsverantwortung des Freistaates, die wachsenden Lasten für die kommunale Seite abzufedern und sie auch in die Lage zu versetzen, ihren Anteil zu leisten.

Das betrifft zwei Punkte:

1. Wir werden nicht weit kommen, wenn wir die Kommunalfinanzierung im Allgemeinen nicht ausbauen. Und wir brauchen eine Anpassung der 30 Millionen Euro, die seit eh und je im Finanzausgleichsgesetz für den Kulturlastenausgleich gesetzt sind. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

2. Die Theater- und Orchestersituation kann auch nicht unabhängig von der Kulturraumfinanzierung diskutiert werden. Es wird also ein zentraler Diskussionspunkt für die Weiterentwicklung des Kulturraumgesetzes sein müssen, auf welche Weise die Einrichtungen dort berücksichtigt werden.

Womit ich zu der Frage komme, wie es eigentlich mit der gesamten Kulturlandschaft weitergeht.

Es ist mir ein Anliegen, die anderen Kultursparten nicht hinten runterfallen zu lassen.

Für uns BÜNDNISGRÜNE heißt Erhalt kultureller Vielfalt, dass wir nicht nur die großen, traditionsreichen Einrichtungen stabilisieren. Wir haben ebenso eine Verantwortung für die kommunale und freie Kultur von bildender Kunst über Museen bis Soziokultur, kulturelle Bildung und freie Darstellende Kunst – in ländlichen wie urbanen Kulturräumen.

Die prekäre Situation spitzt sich hier an vielen Stellen zu. Durch die Corona-Pandemie haben wir gemerkt: Ohne Kultur wirds still. Wir haben unsere Strukturen durch diese Krise gerettet, und jetzt? Lassen wir sie mit den Kostensteigerungen alleine?

Beim letzten Kulturgipfel von Staatsministerin Klepsch stand der Wert der Kultur im Mittelpunkt. Da wurde gut herausgearbeitet, warum z.B. auch die Unternehmen erhebliches Interesse an einer lebendigen Kulturlandschaft haben. Die ist eben wichtig für ein attraktives Umfeld für Fachkräfte, für demokratischen Dialog, Horizonterweiterung und gesellschaftliches Miteinander.

Den Kulturschaffenden nutzen solche Einsichten aber nichts, wenn sie am Ende finanziell im Stich gelassen werden.

Mir scheint, das mit dem Wert der Kultur haben einige immer noch nicht verstanden. Da denkt man immer noch: „Kultur ist Luxus, den man sich jetzt nicht mehr in dem Umfang leisten kann“.

Wir BÜNDNISGRÜNE nehmen den Wert der Kultur ernst, das heißt: wenn die Kosten steigen, dürfen die Budgets nicht eingefroren bleiben.

Wir wollen hier an zwei Baustellen herangehen:

1. Die Dynamisierung der Kulturraummittel. Der Kultursenat feierte gerade sein 30-jähriges Bestehen. Eine ganze Weile verbringt er nun schon damit, der Landespolitik zu erklären, warum es eine Dynamisierung braucht. Es ist an der Zeit, die Forderung aufzunehmen.

Für den aktuellen Doppelhaushalt hat sich meine Fraktion für eine Aufstockung um 6 Millionen eingesetzt, um wenigstens die bisher entstandenen Kostensteigerungen abzufedern.

Die 2. Baustelle ist die faire Vergütung. Der Prozess läuft. Ich erwarte hier von der Staatsregierung eine verbindliche Verankerung von Honoraruntergrenzen. Denn faire Vergütung ist eine Frage der Gerechtigkeit und eine Voraussetzung für qualitativ hochwertige Kulturangebote und eine sichere Zukunft.

Wenn wir davon reden, dass wir den Kulturschaffenden in ganz Sachsen eine sichere Zukunft geben müssen, dann betrifft das auch nicht-finanzielle Dinge. Die gehen aber dennoch ans Eingemachte, nämlich um die Kunstfreiheit, die wir als Landespolitik wieder verteidigen müssen!

Ich spreche z.B. von den Anfeindungen und Provokationen gegenüber einer Inszenierung eines freien Performancekollektivs am Theater Plauen-Zwickau im September. Da fühlten sich wohl einige in ihrer 50er-Jahre-Welt gestört, weil hier auf die Nachfrage junger Menschen nach den Themen Sexualität und Queerness eingegangen wurde. Dass der Respekt der Kunstfreiheit heute teilweise völlig abhandenkommt, macht mir Sorge.

Was mir aber noch mehr Sorge macht, sind die politischen Versuche, inhaltliche Entscheidungen zu beeinflussen.

Beispiel: Im Juni hat die Mehrheit im Zwickauer Stadtrat auf Initiative der AfD-Fraktion versucht, die Verwendung geschlechtergerechter Sprache am Theater Plauen-Zwickau zu unterbinden. Das ist ein harter Angriff auf das Grundrecht der Kunstfreiheit. Das setzt nicht nur das betroffene Theater unter Druck, das sendet auch ein Signal an alle Kulturschaffenden, nehmt euch in Acht! Hier herrscht Zensur und Verbotskultur statt Offenheit.

Es scheint ein Trend zu sein, vor lauter Empörung über so ein Randthema wie das Gendern Grundrechte und Freiheitsverständnis komplett über Bord zu werfen.

Leider wurde dem zuletzt auch von der Staatsregierung Vorschub geleistet und da ist auch die Kultur betroffen.

Vom Gendererlass des Kultusministeriums sind auch Leistungen von externen Partnern betroffen, also auch Anbieter kultureller Bildung oder Kultureinrichtungen. Sie müssen sich nun entscheiden, ob sie sich in ihre inhaltlichen Ausdrucksformen hineinregieren lassen oder sächsische Schulen fortan meiden.

Das verstößt aus meiner Sicht klar gegen die Kunstfreiheit! Es bremst kulturelle Bildung an unseren Schulen aus und wirft ein dunkles Licht auf Sachsen.

Meine Frage an Kultusminister Piwarz ist da schon, ob ihm nicht wichtigere Herausforderungen im Bildungssystem einfallen, als kultureller Bildung Grundrechte zu beschneiden?