Kunstfreiheit ist nicht verhandelbar

Claudia Maicher lehnt mit verschränkten Armen an Holzwand im Plenarsaal

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der AfD-Fraktion „Für einen selbstbewussten Umgang mit der Rezeptionsgeschichte – Politisch motivierte Umbenennungen von Kunstwerken durch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zurücknehmen“ Drs 7/7878

38. Sitzung des 7. Sächsischen Landtages, Donnerstag, 18.11.2021, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wir BÜNDNISGRÜNE lehnen diesen Antrag entschieden ab, weil er einen politischen Eingriff in die Kunstfreiheit darstellt. Das Grundrecht der Kunstfreiheit gilt für Museen ebenso wie für die zeitgenössische Kunst.

Die AfD will die inhaltliche Arbeit der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden unter staatliche Kontrolle bringen. Nichts anders steht in diesem Antrag. Und was soll denn als nächstes reglementiert werden? Soll die Staatsregierung etwa den Veranstaltungskalender der SKD freigeben? Nicht mit uns, das dürfen wir als demokratische Kräfte niemals zulassen!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich frage mich auch, wo eigentlich das Problem liegt? Die SKD prüfen bei der wissenschaftlichen Bearbeitung von Werksinformationen auch auf diskriminierende Begriffe. Diese werden in der Online-Collection nicht einfach stehen gelassen, sondern erscheinen zunächst verdeckt. Eine Triggerwarnung vermittelt die Distanzierung von der überlieferten Sprache. Wer es will, klickt einmal und sieht den Begriff – Keine Spur von Zensur.

Die AfD vermutet hinter drei Sternchen und einer Triggerwarnung eine „Überheblichkeit gegenüber Weltbild und Wertvorstellungen vergangener Jahrhunderte“.

Ich gehe davon aus, dass unser heutiges Handeln zuallererst dem Wohl der heute lebenden Menschen gilt, weniger, sagen wir, einem Kunstsammler aus dem 18. Jhd. Seine Ansichten mögen zu seiner Zeit Normalität gewesen sein. Das heißt aber nicht, dass wir die damalige Sprache und die Weltbilder dahinter heute so behandeln müssten, als sei sie sakrosankt. Das wäre eine gänzlich falsche Herangehensweise auch an unser politisches Handeln.

Ein Museum ist keine Zeitkapsel. Es ist eine öffentliche Einrichtung und hat als solche eine gesellschaftliche Verantwortung. Unsere Gesellschaft ist im Wandel. Es werden heute immer weniger solche Begriffe akzeptiert, die Menschen aufgrund irgendeiner Gruppenzugehörigkeit herabsetzen.

Ein Museum kann sich aus einer solchen allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung nicht herausnehmen. Ein Kunstmuseum verbindet kunsthistorische Forschung und Sammlung mit den Aufgaben der Ausstellung und Vermittlung. Es produziert somit öffentliche, gemeinwohlorientierte Inhalte und hat einen Bildungsauftrag. Da ist doch völlig klar, dass rassistische Sprache nicht einfach in der Online-Collection fortgeschrieben wird.

Diese Praxis steht dem kunsthistorischen Auftrag auch nicht entgegen. Wo bitte entsteht denn eine Verzerrung historischer Wirklichkeit, wenn etwas als verdeckt kenntlich gemacht wird und sehr leicht wieder angezeigt werden kann? Dadurch wird die Historie des Begriffs doch erst sichtbar.

Es ist für mich auch nachvollziehbar, dass die SKD eine Abstufung vornehmen, wonach historische Titel erhalten bleiben, Werksbeschreibungen aber angepasst werden. Da wird eben eine Grenze definiert. Aber ich sage klar, ob ein bestimmter Begriff nun zum Nachvollzug der Rezeptionsgeschichte eines Werkes benötigt wird oder nicht – das überlassen wir lieber den Fachleuten und unterbinden nicht als Politik einen fachlichen Prozess.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin sehr für eine offene Diskussion dieser Fragen. Es ist wichtig, dass die professionellen Entscheidungen öffentlich begründet werden. So kann erläutert werden, dass hier Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollen und dass ein Nicht-Handeln ein Signal der Akzeptanz von Rassismus senden würde. Es ist auch wichtig, dass dabei ein wohlüberlegter Weg gesucht und Geschichte nicht leichtfertig überschrieben wird.

Es versteht sich von selbst, dass hier ein „Alles bleibt, wie es ist“ nicht der Ausgangspunkt sein kann. Ganz ohne Irritationen, ohne Zumutungen geht es nicht. Es braucht einen leider anstrengenden, aber wichtigen Aushandlungsprozess auch im Interesse des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Die SKD und ihre Generaldirektorin Prof. Dr. Marion Ackermann engagieren sich sehr stark in dieser Frage. Die mediale Debatte hat durch ihre Gesprächsoffenheit deutlich an Tiefe gewonnen.
Interessierte finden Erläuterungen auf der Startseite der SKD. Das Vorgehen soll auch in der Online-Collection noch transparenter werden.

Und auch in der Fachöffentlichkeit findet natürlich ein Diskurs statt. Darin gibt es unterschiedliche Stimmen und auch viel Zuspruch. Überhaupt ist die SKD ja kein Sonderfall, ihre Praxis ist in einen internationalen Austausch eingebettet. Ähnliche Standards finden Sie etwa im Rijksmuseum in Amsterdam, im Musée d’Orsay in Paris und im British Museum in London. Es ist also falsch zu unterstellen, die SKD tun etwas Sachfremdes.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
dieser Antrag würde rassistische Sprache quasi unter Schutz stellen und gefährdet dabei grundsätzlich die Kunstfreiheit. Das lassen wir BÜNDNISGRÜNEN niemals zu. Wir lehnen den Antrag ab.