Jüdische Kultur in Sachsen: Bereicherung unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen

Claudia Maicher am Rednerpult während Rede zu Jüdischer Kultur in Sachsen im Landtag

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion SPD zum Thema: „Jüdisches Leben und jüdische Kultur in Sachsen“

33. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 24.06.2021, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

„Ist jüdisches Leben in Deutschland heute wieder selbstverständlich?“ – das fragt die Leipziger Verlegerin Nora Pester vom „Netzwerk Jüdisches Leben“ im Vorwort der Broschüre zum Festjahr „1700 jüdisches Leben in Deutschland“.

Ja, wie sichtbar ist jüdische Kultur heute eigentlich? Fühlen sich Jüdinnen und Juden in Deutschland und in Sachsen anerkannt? Wird jüdische Kultur als selbstverständlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens gesehen?

Ich sehe es als große Bereicherung, jüdische Bürgerinnen und Bürger mitten in unserer Gesellschaft zu haben. Von der Selbstverständlichkeit sind wir aber noch ein ganzes Stück entfernt. Es ist unsere Aufgabe, jüdische Kultur noch sichtbarer zu machen und die Zusammenarbeit in allen Bereichen der Gesellschaft zu verstärken.

Ich möchte im Namen der BÜNDNISGRÜNE-Fraktion all den jüdischen und nicht-jüdischen Bürgerinnen und Bürgern danken, die sich für das Aufblühen des jüdischen Lebens in Sachsen engagieren, sei es in oder mit den jüdischen Gemeinden, in Initiativen oder Vereinen.

Es ist gut und wichtig, dass wir das Festjahr auch in Sachsen nutzen. Die Aktivitäten zeigen, wie vielfältig das jüdische Kulturerbe und die Gegenwart jüdischen Lebens ist. Sie verbinden das Gedenken mit lebendiger interkultureller Kunst, mit aktuellen Beiträgen aus Wissenschaft, Religion und politischer Bildung.

Lassen Sie mich zwei Beispiele herausgreifen. Der Verein „Freiberger Zeitzeugnis“ organisiert aktuell die Ausstellung „Spurensuche“ und deckt die jüdische Geschichte Freibergs auf. Bei der Erforschung beteiligen sich Schüler*innen, Bürger*innen und arbeiten damit auch aktiv gegen Geschichtsverklärung und für eine offene Gesellschaft.

In Leipzig bietet das Jüdische Begegnungszentrum Ariowitschhaus seit vielen Jahren Begegnung mit der jüdischen Kultur an und leistet Präventionsarbeit gegen Antisemitismus. Das Ariowitschhaus lebt vom bürgerschaftlichen Engagement. Es erreicht Menschen jeden Alters, jeder Herkunft oder Religion. Gemeinsam mit der Stadt Leipzig veranstaltet das Ariowitschhaus bereits zum 14. Mal die Jüdische Woche in Leipzig. Sie startet in wenigen Tagen, am 27. Juni.

Die zwei Beispiele zeigen auch, dass die Stärkung jüdischer Kultur eng verbunden ist mit dem Einsatz für das gute Zusammenleben. Die jüdischen Gemeinden sind Partner des interreligiösen Austauschs und fördern das gegenseitige Verständnis. Die jüdischen Communities haben schließlich selbst Erfahrung damit, wie Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammenfinden können. Haben sie doch seit Anfang der 1990er Jahre eingewanderte Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und anderen Ländern aufgenommen. So ist das Engagement für die jüdische Kultur in Sachsen auch Teil eines übergeordneten interkulturellen Engagements.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte betonen, dass wir vor allem die Bereicherung unserer Gesellschaft durch die jüdische Kultur in den Mittelpunkt stellen sollten. Jüdinnen und Juden sind nicht zuerst Opfer – weder in der Geschichte noch in der Gegenwart.

Und dennoch dürfen wir angesichts des zunehmenden Antisemitismus nicht wegschauen. Bereits zwischen 2014 und 2019 waren mehr als 700 antisemitische Vorfälle in Sachsen bekannt geworden worden. Aktuell erleben wir eine deutliche Zunahme im Zusammenhang mit der Querdenken-Bewegung.

Das ist beschämend. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass jüdische Gemeinden in unserem Land nicht ohne Wachpolizei auskommen, dass Jüdinnen und Juden immer wieder antisemitische Vorurteile, Anfeindungen und Angriffe erdulden müssen.

Es braucht mehr staatlichen Schutz. Antisemitische Straftaten müssen frühzeitig erkannt und effizienter verfolgt werden. Ein wichtiger Schritt hierfür ist der im Mai eingeführte Leitfaden der Generalstaatsanwaltschaft Dresden und des Landeskriminalamts und die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden mit den jüdischen Gemeinden.

Und zweitens müssen wir Zivilgesellschaft und politische Bildungsarbeit noch besser unterstützen. Es ist unerträglich, wie der Davidstern als Mittel der Provokation auf den Querdenken-Demonstrationen missbraucht wird. Das erzeugt Verletzungen. Es entwürdigt das Gedenken an die Shoa. Das darf nicht unwidersprochen bleiben, von jedem von uns – nicht nur hier im Parlament. Und dafür braucht es noch mehr niedrigschwellige Bildungs- und Beratungsangebote.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir BÜNDNISGRÜNE wollen, dass die jüdische Kultur einen selbstverständlichen Platz in unserem Gemeinwesen einnimmt und die Freiheit des jüdischen Lebens geschützt wird.

Herzlichen Dank!