Europäisches Gespräch zum Brexit im Landtag – Welche Schlüsse zieht Sachsen?

Im gestrigen Europäischen Gespräch, das der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer und die GRÜNE-Landtagsfraktion zum zweiten Mal in Dresden geführt haben, diskutierten wir mit dem Sächsischen Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei, Dr. Fritz Jaeckel und zahlreichen Gästen die Auswirkungen des Brexit auf den Freistaat und die Europäische Union.

Unumgänglich war zu Beginn der lebhaften Debatte die Sicht auf das Vereinigte Königreich und die Londoner City. Der britische Bankensektor, so Minister Jaeckel, hat unmittelbar nach dem Ausgang des Referendums am 23. Juni begonnen, Standortoptionen innerhalb der EU zu prüfen. Reinhard Bütikofer stellte dieser Verunsicherung auf Seiten der Finanzwirtschaft, die zum Teil unklaren bzw. fehlenden Aussagen der britischen Regierung gegenüber, die in Bezug auf den Ausstieg weiterhin viele Fragen unbeantwortet und keine Verhandlungsansätze erkennen lässt.

Die politische Unbestimmtheit auf der einen Seite des Kanals. Die konkrete Verunsicherung auf der anderen Seite: die Unternehmerinnen und Unternehmer in Sachsen blicken ganz genau auf den anstehenden Verhandlungsprozess zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Darüber hinaus wurden auch aus den Reihen der Gäste Fragen zu den Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden Sachsens, auf die Universitäten und Forschungseinrichtungen des Landes aufgeworfen.

Die Diskussion ergab, dass im Zuge der absehbaren Auswirkungen für den Freistaat eine Reihe von Punkten auf der Agenda stehen, die im Zuge des Ausstiegsprozesses, des anschließenden Status Großbritanniens gegenüber der EU und der Verfasstheit der Union an sich erarbeitet werden:

  • die pessimistischen Erwartungen über die Gesamtfördersumme für den Freistaat Sachsen aus EU-Mitteln in der nächsten Förderperiode bewegt sich im Bereich von 500 Mio. bis 1 Mrd. Euro – gegenüber rund 2,8 Mrd. in der laufenden Förderperiode → die Entbürokratisierung der Landes-Förderprogramme und der gezielte Einsatzes der Mittel werden wichtiger denn je
  • der Binnenmarktzugang des Vereinigten Königreiches ist nicht absehbar, ohne Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kein Zugang – so das einhellige Urteil der Gesprächsgäste → hier ist der Freistaat ein potentieller Standort für Unternehmen, die zumindest eine Teilansiedlung in der verbleibenden EU anstreben; für sächsische Unternehmen, die auch im Zuge der Europadebatte eine Politisierung in den eigenen Reihen erleben, ist weiterhin schwer absehbar, unter welchen Bedingungen sie vor allem ihren Export und Import mit Großbritannien nach den Austrittsgesprächen betreiben können
  • Wissenschaft, Hochschule und Kultur → die Förderung kommunaler Austausche im Kultur- und Schulbereich wird ein wichtiger Schlüssel sein, die konkrete Zusammenarbeit mit Großbritannien auch unter den künftigen Bedingungen fortzuführen; europäische Kulturaustausche leben seit jeher von der Projektzusammenarbeit; diese durch die Förderung und Vermittlung konkreter Projekte zu vertiefen ist eine mögliche Antwort auf den Brexit; nichtsdestotrotz werden mögliche finanzielle Einschnitte im Forschungsbreich für den Freistaat schwer wiegen
  • die regional vertiefte Zusammenarbeit mit den Ländern der Visegrád-Gruppe ist aufgrund der politischen Umstände innerhalb der jeweiligen Staaten nicht leicht, aber für die Frage des europäischen Zusammenhalts nach dem Ausstieg des Vereinigten Königreichs wichtig – auch in diesem Sinne kann der Freistaat nach dem Brexit mitwirken

Schlussendlich war die Frage der Zukunft Europas Gegenstand der gemeinsamen Abschlussdebatte. Während Minister Jaeckel sich für eine Konzentration der EU auf die Kernaufgaben aussprach, setze Reinhard Bütikofer entgegen, dass wir in einzelnen Politikbereichen, z. B. in der Industriepolitik, im Sinne der gesamteuropäischen Entwicklung mehr Kompetenzen für die EU brauchen.