GRÜNE Bundesfrauenkonferenz in Leipzig 15. September 20124. März 2015 Grußwort zur Bundesfrauenkonferenz in Leipzig Heute ist der internationale Tag der Demokratie, und was passt da besser als nach Leipzig zu reisen – in eine Stadt von der vor 23 Jahren der Ruf nach Mitbestimmung, Bürgerinnenbeteiligung und Freiheit nach draußen drang. Die erste Montagsdemo im Wendeherbst, am 4. September 1989, wurde von zwei jungen Frauen mit dem Plakat „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ angeführt. Und es gelang: viele Frauen und Männer sind nicht nur auf die Straße gegangen sondern haben mit dem Mut und dem Drang nach Veränderung etwas bewegt. Dieses Selbstbewusstsein, der Gestaltungswunsch, Bewegung von unten ist auch heute noch überall in Leipzig spürbar und macht Leipzig lebenswert. Nicht umsonst wird Leipzig immer noch als dynamischste Stadt im Osten genannt. Noch ein anderer guter Grund die Bundesfrauenkonferenz in Leipzig zu veranstalten, ist eine Schriftstellerin, Journalistin und Frauenpolitikerin, die in Leipzig gelebt und gewirkt hat: die Gründerin der deutschen Frauenbewegung: Louise Otto-Peters. Sie gründete vor 147 Jahren den ersten Frauenbildungsverein und organisierte im gleichen Jahr die erste deutsche Frauenkonferenz in Leipzig. Dort wurde der Allgemeine Deutsche Frauenverein gegründet. Der setzte sich vor allem für die staatsbürgerliche Mündigkeit aller Frauen und eine Reform des patriarchalischen Eherechts ein. Louise Otto-Peters Leitspruch war: „Die Teilnahme der Frau an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht.“ Ihr waren besonders das Recht der Frauen auf Bildung, der Zugang zum Hochschulstudium und ein Ende der fruchtbaren Arbeitsbedingungen in den Fabriken wichtig. Darüber schrieb sie in ihren sozialkritischen journalistischen Arbeiten Denn sie wollte Meinungsmacherin sein. Sie gründete in Leipzig die erste überregionale Frauenzeitung. Es ist die erste Publikationsmöglichkeit der entstehenden Frauenbewegung – bis dahin undenkbar und sie durfte auch nicht lange publizieren, weil ein Pressegesetz verabschiedet wurde, das Frauen die Leitung einer Zeitung untersagt. Höhere Bildung, Erwerbsbeteiligung und Meinungsmache – dafür gibt es inzwischen keine rechtlichen Hürden mehr für Frauen. Und dennoch sind wir nicht überall gleichberechtigt dabei. Auch nach 150 Jahren Frauenbewegung müssen wir weiter über die faktischen Barrieren, gläsernen Decken und ungleichen Bedingungen für Frauen und Männer diskutieren. Beim großen Thema der ersten Frauenbewegung, der politischen Einmischung der Frauen und der gesellschaftlichen Meinungsmache ist einiges erreicht aber vieles nicht selbstverständlich: im sächsischen Landtag sitzen nur 40 weibliche Abgeordnete 92 männlichen Kollegen gegenüber. Ein noch erschreckenderes Bild zeigen die einzelnen Kreistage in Sachsen. Der Anteil der Frauen innerhalb der Kreisräte liegt gerade einmal bei knapp 19 Prozent. Die Machtverteilung in Sachsen spricht eine deutliche Sprache: zu 80 Prozent gestalten Männer den Alltag aller Sächsinnen und Sachsen. Sie entscheiden über die Kitaplätze, die Beratungsangebote, ÖPNV, die einzelnen Haushaltsbudgets. Vielleicht spielt deshalb die Gleichstellungs- und Frauenpolitik in Sachsen trotz ihrer rechtlichen Verpflichtung und gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung nur eine verbale Rolle? Zwar haben zum Beispiel in Leipzig seit letztem Jahr erfreulicherweise die drei größten Hochschulen – die Universität Leipzig, die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig sowie die Hochschule für Grafik und Buchkunst – Rektorinnen. Doch das ist eine schöne Ausnahme in Sachsen, fast alle anderen Führungspositionen in der Wissenschaft liegen in Männerhand, und von den sächsischen Professuren sind gerade mal 16 Prozent in von Frauen besetzt. Und auch auf dem Arbeitsmarkt sind wir von der Gleichstellung weit entfernt. Vor allem im Osten gibt es auch Rückschritte. Wir haben in Sachsen eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen, auch in Vollzeit, aber auch hier gibt es ungerechtfertigte Einkommensunterschiede. Und vor allem steigen diese mit den Jahren – ein Rückschritt für die Frauen im Osten. Ich freue mich, dass wir auf der ersten grünen Frauenkonferenz im Osten diese Entwicklungen – Rollback oder Aufbegehren? besprechen, auch die Unterschiede zwischen Ost und West in Blick nehmen und was wir daraus für einen geschlechtergerechten Arbeitsmarkt lernen können. Wir sind hier in Plagwitz, einem Stadtteil der vor 1989 ein riesiges Industrie- und Arbeiterviertel mit großen Fabriken war und deren Belegschaft zum Großteil Frauen waren, vor allem in der Textilbranche. Hier lebte bis 1990 das alte Industriezeitalter. Danach brachen innerhalb kürzester Zeit in Leipzig 100.000 Industriearbeitsplätze weg und das Viertel kämpfte mit den sozialen und auch ökologischen Spätfolgen dieser Zeit. Aber jetzt ist der Wandel hier im Viertel zu erleben. Es ist geprägt von einer neuen Kreativszene, Galerien und Verlagen, Bürgerinnenengagement, Nachbarschaftsgärten, Zwischennutzungskonzepten wie die Wächterhäuser, mit vielen Freiräumen immer mehr Familien also vor allem mit Lebendigkeit. Ich wünsche uns allen, gute, interessante und auch kontroverse Debatten, deren Ergebnisse wir mit in unserer konkrete Arbeit vor Ort nehmen können. Schöne Tage hier in Leipzig, es lohnt sich vieles zu entdecken. Weiteres zum Thema:Zukunftszentrum als riesige Chance für die Stärkung der Demokratie 22. September 2022 Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zur Dritten Aktuellen Debatte der CDU-Fraktion „Sachsen –…70 Jahre Volksaufstand: Freiheit nutzen heißt Demokratie leben 1. 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