Gern werden die aktuellen Arbeitslosenzahlen in Deutschland als Beweis für eine gute Bewältigung der Wirtschafts- und Schuldenkrise interpretiert. Doch von Aufschwung und Fachkräftemangel profitieren in Sachsen nicht alle. Während deutschlandweit die Arbeitslosigkeit im Januar um 7,9 Prozent zum Vorjahresmonat sank, geht sie in Sachsen nur um 1,4 Prozent zurück. Das liegt auch an dem hohen Anteil langzeitarbeitsloser Menschen bei uns. Deutschlandweit sind nur 30 Prozent aller Arbeitslosen mehr als 12 Monate ohne Arbeit, in Sachsen sind es fast 70 Prozent. Menschen mit Behinderung, Migrantinnen und Migranten und ältere Arbeitssuchende haben deutlich weniger Chancen dauerhaft Beschäftigung zu finden.
Die Mehrzahl der fast 49.000 sächsischen Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen, nämlich 61,3 Prozent, bekommen ein Gehalt unter der ostdeutschen Niedriglohnschwelle von 1.379 Euro. Frauen erhalten viel häufiger als Männer Armutslöhne trotz sozialversicherungspflichtiger Vollbeschäftigung. In Leipzig verdienten im letzten Jahr erwerbstätige Frauen 17 Prozent weniger als Männer – 2009 lag der Unterschied noch bei 14 Prozent. Und Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit und sind viel seltener in Führungsetagen als Männer.
Die Unterschiede der Arbeitsmarktchancen sind enorm. Deshalb brauchen wir Rahmenbedingungen zur individuellen Förderung. Doch es geschieht das Gegenteil. Die Arbeitsmarktpolitik von CDU/FDP Koalitionen in Bund und Land wird vom Rotstift diktiert. Gespart wird vor allem dort, wo es um Förderung und Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit geht: bei der beruflichen Weiterbildung, beim Gründungszuschuss oder im Bereich öffentlich geförderter Beschäftigung.
Kennzeichen sächsischer Arbeitsmarktpolitik ist vor allem, dass sie nicht stattfindet. Nachdem Minister Morlok (FDP) zu Beginn seiner Amtszeit schnell und ersatzlos die Projekte zur Förderung von Langzeitarbeitslosen gestrichen (Kommunal-Kombi) oder gar nicht erst in Betracht gezogen hat (Bürgerarbeit), passierte nicht viel.
Mindestlöhne lehnt die Staatsregierung als unsozial und als schlechteste Lösung für den Wirtschaftsstandort ab – Sachsen soll Billiglohnland bleiben. Für die Beschäftigten verweigert sie ein von uns Grünen gefordertes Weiterbildungsgesetz. Stattdessen will Morlok mit der sächsischen Eierschecke den Arbeitsmarkt und die sächsische Wirtschaftskraft retten. Er geht mit Kaffee und Kuchen auf Fachkräftefang indem er Autopendler und LKW-Fahrer an der Raststätte auf ihrem Weg nach Hause aufhält.
Wir brauchen endlich eine Arbeitsmarktpolitik, die die richtigen Rahmenbedingungen für eine barrierefreie Arbeitswelt, für mehr Durchlässigkeit und ausreichend individuelle Entwicklungsmöglichkeiten setzt und zwar für alle Menschen.
Dazu gehören zielgenaue Weiterbildungen für Arbeitslose und Beschäftigte, flächendeckende Beratungsmöglichkeiten für den Berufs(wieder)einstieg, faire Löhne, leicht zugängige und transparente Anerkennungsverfahren ausländischer Qualifikationen und die Förderung von Menschen mit Behinderungen. Auch ein Vielfaltsmanagement in Landesverwaltung und Unternehmen gehört dazu. Das heißt Diskriminierungen konsequent abzubauen und kreative Potenziale, Erfahrungen und Arbeitsweisen verschiedener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer optimal zu nutzen.
Gute Arbeit und faire Beschäftigung sind Grundlagen für ein ausreichendes Einkommen und die Möglichkeit zufrieden in Sachsen zu leben. Das entlastet auch den Sozialstaat und stärkt die Solidargemeinschaft. Außerdem sichern attraktive Arbeitsplätze die sächsische Wirtschaft. Wir brauchen Fachkräfte, die hier bleiben oder zu uns nach Sachsen kommen wollen – und zwar nicht als Gastarbeiter 2.0, sondern dauerhaft, gerne und mit ihren Familie.
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Dieser Artikel erschien in der bündnisgrünen Mitgliederzeitschrift Aufwind. Zur gesamten Ausgabe geht es hier.
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