Sachsen braucht eine zeitgemäße Verfassung

Die sächsische Verfassung ist 20 Jahre alt und seit ihrem Inkrafttreten 1992 kein einziges Mal verändert worden. Doch unsere Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Es spricht vieles für eine Modernisierung. Nicht nur, weil eine moderne und zeitgemäße Verfassung unserem Land und den Menschen, die hier leben, gut tut. Sondern auch, weil die zukünftige finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates wichtig ist.

Die schwarz-gelbe Landesregierung hat alle demokratischen Fraktionen im Landtag zu Gespräche über eine Verfassungsänderung eingeladen. Das ist zu begrüßen, denn eine Änderung unserer Verfassung muss breit getragen werden. Es reicht aber nicht, nur eine politische Mehrheit zu haben. Wir brauchen auch gesellschaftliche Unterstützung für die Themen, die uns – alle Sächsinnen und Sachsen und alle die hier leben – in der Lebenswelt betreffen. Deshalb ist eine intensive und öffentliche Debatte notwendig. Der Austausch muss mit den Menschen, den Initiativen und Vereinen, mit der Zivilgesellschaft und nicht ausschließlich im Parlament geführt werden.

Angesichts der möglichen Verfassungsänderung bleibt es unverständlich, warum die CDU/FDP-Koalition offenbar nur ein Ziel verfolgt: die Verankerung des absoluten Neuverschuldungsverbots in der Verfassung. Das ist unsinnig und zu kurz gedacht.

Wahr ist, dass die enormen Verschuldungen der öffentlichen Haushalte in Deutschland und in Europa für zunehmende Probleme in Krisenzeiten sorgen und zukünftigen Generationen die finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten nehmen. Auch in Sachsen brauchen wir in Anbetracht der großen Herausforderungen vor denen wir stehen – dem notwendigen ökologischen, sozialen und generationengerechten Umbau der Gesellschaft, den steigenden Bildungsinvestitionen und abnehmenden Transferzahlungen – einen dauerhaft handlungsfähigen Freistaat und zwar ohne unseren Kindern übermäßige Schulden aufzuladen.

Deshalb ist eine Schuldenbremse, die die Wirkungen von außergewöhnlichen konjunkturellen Auf- und Abschwüngen auf die Einnahmen berücksichtigt, sowie die finanzielle Handlungsfähigkeit von Land und Kommunen bei schweren Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen ermöglicht, sinnvoll. Die sogenannte atmende Schuldenbremse kann dies, weil sie nicht nur automatisch einen Konjunkturkredit ermöglicht, sondern auch den Abbau dieser Kredite zeitlich plant und garantiert.

Keiner weiß, wie in den nächsten Jahren die Steuereinnahmen ausfallen. Niemand kann genau sagen, wie die ökonomische Entwicklung in Sachsen aussehen wird. Deswegen ist es so wichtig die Gestaltungsmöglichkeit des Staates dauerhaft zu erhalten. Es darf nicht wieder ohne Maß und Verstand, wie im letzten Doppelhaushalt der Staatsregierung, bei konjunkturbedingten Steuerausfällen gewachsene Strukturen der sozialen Angebote abgeholzt werden. Es muss die notwendige Ausstattung nachhaltig gesichert werden. Es dürfen langfristig erforderliche Bildungsinvestitionen nicht einfach abrupt enden, nur weil ein konjunktureller Einnahmeeinbruch zu drohen scheint. Eine atmende Schuldenbremse steht für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Finanzpolitik. Das absolute Neuverschuldungsverbot, wie es die schwarz-gelbe Staatsregierung bisher beabsichtigt, ist das Gegenteil davon.

Ebenso unverständlich ist, warum die Regierung weitere wichtige Modernisierungen in der sächsischen Verfassung bisher nicht anpacken will, obwohl sich in den letzten 20 Jahren gesellschaftlich vieles verändert hat. Besonders drängende Themen wie mehr direkte Demokratie, bessere Informationsrechte für Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung und ein zeitgemäßer Umweltschutz als Staatsziel sollten aufgenommen bzw. geändert werden. Jetzt, da fraktionsübergreifend die Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Verfassungsänderung gezeigt wurde, ist die Chance für eine zeitgemäße Verfassung gegeben. Denn es gilt hier wie für alle Verhandlungen: wer etwas wirklich verhandeln will, muss auf die anderen zugehen.

Die bessere Beteiligung der Wählerinnen und Wähler, jenseits der fünfjährlichen Landtagswahl, kann durch mehr direkte Demokratie ermöglicht werden. Deshalb müssen die Quoren für Beteiligungen und Volksgesetzgebungen mindestens an die rückläufige Bevölkerungsentwicklung der letzten 20 Jahre angepasst werden.

Zu mehr Beteiligung gehört auch ein besserer Informationszugang. Bürgerinnen und Bürger, die bei der Suche nach öffentlichen Informationen über Planungsverfahren, Umweltdaten, Stellungnahmen von Ämtern und Behörden oder ganz einfach nach den Kreistagsdokumenten für die nächste Sitzung verzweifelt wie vor einer Mauer stehen, brauchen endlich ein verankertes Grundrecht auf Informationsfreiheit. Bürgerbeteiligung ist ein hohes Gut, das darf nicht durch Politik und Verwaltung blockiert werden. Deswegen setzt sich die grüne Landtagsfraktion für ein Informationsfreiheitsgesetz ein.

Wichtig ist seit jeher und immer mehr unsere Umwelt stärker zu schützen. Deswegen müssen wir besonders im Interesse unserer Kinder und Enkel den Umweltschutz als Staatsziel ernst nehmen. Staatliches Handeln muss die umweltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit berücksichtigen. Deshalb schlagen die Grünen in Sachsen vor, den Umweltschutz in der Verfassung zu stärken und das bestehende Umweltstaatsziel um das Schutzgut Atmosphäre zu ergänzen. Nur so sind der Klimaschutz, die Erneuerungsfähigkeit der Umweltgüter und der Erhalt der Biodiversität verankert. Politik und Gesellschaft werden damit verpflichtet, aktiv Klimaschutz und Schutz der biologischen Vielfalt zu entwickeln und zu fördern.

Bündnis 90/Die Grünen ist eine kleine Fraktion im sächsischen Landtag, aber sie wird sich weiter für diese Themen sowie die Gleichstellung aller Menschen, Senkung des Wahlalters, Stärkung der Kinder- und Jugendrechte und mehr Datenschutz in Sachsen einsetzen. Wenn wir es nicht machen, macht es keiner.

Mehr Informationen zum Thema Verfassungsänderung gibt es hier und hier.