Rede zur Scheinheiligkeit der AfD in der Frage der EU-Visa-Freiheit für die Türkei

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Diesen Redebeitrag finden Sie auch hier im Video.

Redebausteine der Abgeordneten Claudia Maicher zur Aktuellen Debatte der AfD-Fraktion:
„Keine Visafreiheit für die Türkei – erst die Armenier, jetzt die Kurden?“
35. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, 27. Mai 2016, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sie wissen ganz genau, dass der Sächsische Landtag für die Fragen der Visumspolitik nicht zuständig ist. Sie wissen dies sehr genau.
Gerade Sie, Frau Petry, betreten dieses Plenum nicht, um sich konstruktiv mit Fragen der Schulpolitik, der öffentlichen Sicherheit, des Naturschutzes oder der Kommunalfinanzen zu befassen. Die demokratischen Fraktionen ringen im Alltag in oft mühevollen Verhandlungen und Anhörungen mit Interessenvertretern und Expertinnen darum, zu Lösungen zu kommen, die den Menschen in Sachsen zugute kommen.

Diesen Mühen setzen gerade Sie, Frau Petry, sich nicht aus. Stattdessen kommen Sie mit solchen Debatten hier im hohen Haus.

Das Wesentliche stelle ich voran: Die Einführung der EU-Visafreiheit für türkische Staatsangehörige ist längst überfällig. Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger reisen jährlich in die Türkei. Ohne Formular, ohne Bearbeitungsgebühr, ohne Wartezeit. Allein mit ihrem Personalausweis.

Wir Deutsche machen besonders gern unseren Urlaub und Geschäfte dort.

Gleichzeitig erlegen wir seit Jahrzehnten tausenden Familienangehörigen, Studierenden und Geschäftsleuten, Kulturschaffenden aus der Türkei diese Hürden auf.

Das war kein partnerschaftlicher Umgang zwischen europäischen Staaten.

Aber geradezu fatal ist, dass die Visafreiheit zuletzt gemeinsam mit der Rückführung von Geflüchteten in die Türkei ausgedealt wurde und wie wenig zum Umgang mit Flüchtlingen in der Türkei verhandelt wurde. Es ist ein völlig falsches Signal, dass die Europäische Union die Visafreiheit mit einem fragwürdigen Kuhhandel verknüpft hat.

Die Visafreiheit für Türkinnen und Türken ist wichtig. Und ich sage auch: die Türkei muss jetzt alle Kriterien erfüllen.
Es ist ein Versäumnis der letzten Jahre, als die Türkei vor einer anderen Entwicklungsmöglichkeit stand und die Bundesregierung das ignoriert hat.

Das ist bedauerlich!

Es ist auch bedauernswert, weil mit einer solchen Vermischung unterschiedlicher Sachverhalte Populisten, wie jene um Frau Petry, das Feld bereitet wird.

Ähnlich schmutzig wie beim jüngsten Deal geht es bei der AfD zu. Während die AfD Seite an Seite mit PEGIDA gegen Minderheiten in Deutschland hetzt, prangert sie in einer verwerflichen Scheinheiligkeit das staatliche Vorgehen gegen Kurdinnen und Kurden in der Türkei an. Sie instrumentalisieren das Leid der Kurdinnen und Kurden für die ihre Ausgrenzungsrhetorik. Als hätte Sie jemals der Schutz von Minderheiten interessiert! Denn die pluralistische Gesellschaft als Feindbild ist eine markante Gemeinsamkeit, die Sie von der AfD mit Erdogan teilen.

Dass nun aber ausgerechnet die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag meint, sich über die Türkei und den dortigen Umgang mit Menschenrechten und parlamentarischer Demokratie auslassen zu müssen, entbehrt nicht einer gewissen Komik, hat sie doch selbst ein sehr gespaltenes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zu den in unserer Verfassung niedergelegten Menschenrechten.

Ihre Verehrung für autoritäre Herrscher wie Putin und Orban – Gegner von Menschenrechten und demokratischen Verfassungsordnungen –, Ihre geplante Kooperation mit dem französischen Front national sind da ja entlarvend.

Wenn wir Visafreiheit für die Türkinnen und Türken wollen, heißt das natürlich nicht, die drei Affen zu machen bei Menschenrechtsverletzungen, bei Abschaffung der Pressefreiheit, Abschaffung der Meinungsfreiheit, Missachtung der Minderheitenrechte z. B. der Christen in der Türkei, die Angriffe auf Kurden, die Abschaffung der Immunität kurdischer Abgeordnete aller Parteien letzte Woche. Das Schweigen von Merkel dazu ist so laut, dass es weh tut!

Hier ist klarer Widerspruch angesagt, daran gibt es nichts herumzudeuteln. Wenn die türkische Regierung Teil der europäischen Wertefamilie werden will, dann muss sie hier eine Kehrtwende hinlegen und sich klar zur Geltung der Menschenrechte bekennen.

Die EU und Deutschland dürfen – dies zeigen gerade die Entwicklungen der letzten Wochen – in ihrer Flüchtlingspolitik indes nicht allein auf die Türkei setzen. Um dies weiter auszuführen, ist hier weder der Ort und die Zeit: Wir machen hier Landespolitik. Auch wenn Sie Frau Petry diese nicht interessiert.