Entsolidarisierung im Gesundheitssystem unter schwarz-gelb

Foto: Gunnar Ries
Foto: Gunnar Ries

Heute sprach Bundesgesundheitsminister Rösler im Bundestag über die Pläne der schwarz-gelben Koalition für das Gesundheitssystem. Werden diese Reformen wirklich umgesetzt, verabschieden wir uns von der bewährten solidarischen Krankenversicherung und bekommen ein Gesundheitswesen mit mehr Wettbewerb, mehr Eigenverantwortung, mehr private Zusatzvorsorge und entsprechende Leistungen für die, die es sich leisten können und für die anderen eine Basisversorgung.

Die deutsche Krankenversicherung stand jahrzehntelang für eine leistungsfähige, stabile und international vorbildliche Gesundheitsversorgung. Sie basiert auf drei entscheidenden Prinzipien:
1. Das soziale Versicherungsprinzip. Die Krankenversicherung ist eine Vereinigung vieler Menschen, die gesetzliche Versicherten, mit Krankheitsgefahren. Bei Eintritt des individuellen Krankheitsfalles leistet die Versicherungsgemeinschaft eine Kompensation des durch anfallende Behandlungskosten bzw. Einkommensausfall eingetretenen individuellen wirtschaftlichen Nachteils. Möglich werden diese Leistungen durch das System des gegenseitigen Risikoausgleichs und den dadurch in seiner Gesamtheit kalkulierbaren Vermögensbedarf.
2. Das Bedürftigkeitsprinzip. Leistungen erhalten alle Versicherten entsprechend ihrer Bedürftigkeit. Das heißt im Krankheitsfall bekommt jeder die gleiche Behandlung, unabhängig von den gezahlten Beiträgen. Die Gesetzliche Krankenversicherung widerspricht damit dem Äquivalenzprinzip also dem Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung.
3. Das Solidaritätsprinzip. Innerhalb der Versicherungsgemeinschaft finden gewollte Umverteilungen statt, von den Gesunden zu den Kranken, von den jungen zu den alten Versicherten, von Alleinstehenden zu mitversicherten Kindern und von Beziehern hoher Einkommen zu denen mit niedrigen. Diese Umverteilungen sind notwendig, wenn eine bedarfsgerechte, ausreichende und den medizinischen Möglichkeiten entsprechende Behandlung aller Mitglieder der Solidargemeinschaft erreicht werden soll. Das heißt es gibt eine unterschiedliche Beteiligung an den Kosten der Leistungsbereitstellung, abhängig von der individuellen Leistungsfähigkeit. Hinzu kommt als wesentliches Element die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie teilen sich bisher die Beitragszahlungen.

Der geplante radikale Umbau unseres Gesundheitssystems hebelt diese bewährten Prinzipien aus. Sowohl das Bedürftigkeits- als auch das Solidaritätsprinzip wird von schwarz-gelb geopfert:
Mehr Eigenverantwortung und Zusatzversicherungen garantieren denjenigen, die sie sich nicht leisten können ungleiche Behandlungen im Bedarfsfall. Die bisherige solidarische Finanzierung, die viele Jahre für ein vorbildliches und leistungsfähiges Gesundheitssystem stand wird gleich doppelt aufgeben: zuerst wird die Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern abgeschafft. Der Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung wird gedeckelt, das heißt begrenzt. Die Versicherten sollen jetzt die Kosten für den technischen Fortschritt und den ausufernden Gesundheitsfonds alleine tragen. Das soll Wachstum und Beschäftigung bringen. Was es wirklich bringt ist eine einseitige Belastung der Versicherten. Mit der Festschreibung der Arbeitgeberanteile und der kompletten Umwälzung der Kostensteigerungen auf die Versicherten verlieren alle eine Lobby für geregelten Kostenanstieg im Gesundheitssystem und Begrenzung der Ausgaben zum Beispiel zugunsten der Pharmaindustrie. Wer, außer den Millionen Versicherten hat eigentlich noch Interesse Kosten im Gesundheitssystem zu begrenzen und welchen Einfluss haben sie, diese Interessen durchzusetzen?
Und dann wird zweitens auch die Solidarität zwischen hohen und niedrigen Einkommen abgeschafft und mit der einkommensunabhängigen Kopfpauschale manifestiert. Jeder zahlt dann die gleiche Pauschale.

Auch heute gilt das Solidaritätsprinzip nicht für alle. Der besonders leistungsfähige Personenkreis fällt aus der Versicherungspflicht und kann sich der Solidargemeinschaft entziehen. Außerdem sind nicht alle Einkommen beitragspflichtig, das heißt Bezieher dieser Einkommen werden nicht entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an der Finanzierung beteiligt. Aber statt diese Probleme zu beheben, soll noch weiter entsolidarisiert werden.

Rösler sagt: „Wer aber wirklich will, dass die künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem nicht automatisch zu Lasten des Faktors Arbeit gehen, muss zu einer weitestgehenden Entkopplung kommen von den Krankenversicherungskosten und den Lohnzusatzkosten!“ Deshalb sei es richtig den Arbeitgeberanteil festzuschreiben!

Ich sage wir brauchen eine Einnahmesteigerung und den Erhalt des jahrzehntelang bewährten sozialen Versicherungsprinzip: wir brauchen eine Bürgerversicherung, die Leistungsstarke nicht aus dem solidarischen Gesundheitssystem entlässt, und alle Einkommensarten und nicht nur Lohneinkommen einbezieht. Das würde den Faktor Arbeit wirklich entlasten und Kostensteigerungen auf breite Schultern verteilen.