Besuch im Azraq Flüchtlingscamp

Im Rahmen einer Informationsreise des Europaausschusses im Sächsischen Landtag besuchte ich im Mai das Azraq Flüchtlingscamp in Jordanien. Ich konnte mit eigenen Augen sehen und vor Ort erleben, was es vor allem für Familien heißt, Schutz vor Krieg, Tod und Zerstörung nahe ihrer syrischen Heimat zu erhalten – zumindest für jene 15 Prozent der in Jordanien registrierten Geflüchteten, die in einem der riesigen Camps leben. Das Lager wurde im April 2014 für syrische Geflüchtete neu eröffnet, weil das bis dahin genutzte Flüchtlingscamp Zaatari im Norden mit über 100.000 Menschen überfüllt und an den Grenzen der Versorgungsmöglichkeit war. Als wir im Mai vor Ort waren, lebten im Azraq Camp – 90 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt – knapp 28.000 Geflüchtete, davon 56 Prozent Kinder inklusive etwa 400 unbegleitete minderjährige Geflüchtete (UMF). Seit Januar 2015 war das eine Steigerung der Bewohner um 284 Prozent. Die Kapazität ist im Moment für 50.000 Menschen ausgelegt. Neue abgesteckte Wohneinheiten, sogenannte Villages, und über 10.000 sogenannte Shelters (Blechunterkünfte) für bis zu 6 Personen wurden eröffnet. Potenziell bis zu 100.000 Menschen sollen aufgenommen werden können. Auch wenn das UNHCR das Ziel hat, keine dauerhaften Camps in dieser Größenordnung mitten in die Wüste zu bauen, wird mit weiteren Schutzsuchenden und jedem weiteren Ausbau der Kapazität sowie der notwendigen Trinkwasserversorgung über Brunnenbohrungen der dauerhafte Erhalt manifestiert.

Wir hatten die Möglichkeit die selbstorganisierten Läden innerhalb der Villages, die Makani Bildungscenter von UNICEF, sowie die Wasserversorgung zu besichtigen und die unglaubliche Größe des Lagers zu erfahren. Meine ersten Gedanken beim Befahren des eingezäunten Geländes: wie kann man leben ohne einen einzigen Baum, ohne Pflanzen, ohne Schatten bei Sommertemperaturen weit über 45°C? In Blechunterkünften soweit das Auge reicht und keine Siedlung, keine Stadt in unmittelbarer Nähe. Ohne Stromleitungen ausgestattet nur mit einem Solarpanel pro Hütte, ohne Perspektive und ohne eine Ahnung wie lange dieser Aufenthalt dauert.

Und trotzdem war an diesem tristen, heißen, staubigen Fleck Leben: Kinder die Fahrrad fahren, mit dem Ranzen auf dem Rücken aus der Schule nach Hause laufen, Kinder, die uns mit selbstgemalten Bildern beschenken und für die das Schönste der Besuch des Unterrichts ist, oder ein fantastischer Imbiss mit selbstgebackenem Brot in einer Ladenstraße von drei, vier Verkaufshütten und die zwei Sportfelder für Fußball und Basketball gebaut von Worldvision.

Jordanien nimmt seine Verantwortung an, über 700.000 Geflüchtete wurden bisher aufgenommen bei einer Bevölkerung von 9,5 Millionen ohne spürbare gesellschaftliche Verwerfungen. Dennoch sind diese Lager eine Kapitulation vor einem universellen Anspruch von menschenwürdigem Leben. Wer diese Lager gesehen hat weiß, dass Leben und Aufwachsen auf Dauer so nicht möglich ist. An diesen Zustand dürfen wir uns nicht gewöhnen, nur weil er weit weg von uns und „heimatnah“ für die Geflüchteten liegt.

In diesem Zusammenhang wird bei uns immer wieder von Fluchtursachenbekämpfung geredet. Gemeint ist dabei aber meist die Reduzierung der Geflüchtete bei uns. Das ist keine Fluchtursachenbekämpfung sondern eine Ankommensverhinderung. Wir müssen mehr darüber reden, warum Familien ihre Heimat verlassen müssen. Und ihre Heimat ist eben nicht das Azraq Flüchtlingscamp.

Es ist auch unsere Verantwortung, was mit den Geflüchteten geschieht, die nicht in Europa ankommen, die nicht bei uns Schutz erhalten.

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